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Märchen.
weit der Himmel blau ist, bis ich sie finde." Sie zeigte ihm auch die
zwölf Hemden, die ihnen gehörten. Da sah Benjamin, daß es seine
Schwester war, und sprach: „Ich bin Benjamin, dein jüngster Bruder."
Und sie fing an zu weinen vor Freude und Benjamin auch, und sie
küßten und herzten einander vor großer Liebe. Hernach sprach er:
„Liebe Schwester, es ist noch ein Vorbehalt da: wir hatten verabredet,
daß ein jedes Mädchen, das uns begegnete, sterben sollte, weil wir um
ein Mädchen unser Königreich verlassen mußten." Da sagte sie: „Ich
will gerne sterben, wenn ich damit meine zwölf Brüder erlösen kann."
„Nein," antwortete er, „du sollst nicht sterben! Setze dich unter diese
Bütte, bis die elf Brüder kommen, dann will ich schon einig mit
ihnen werden." Also that sie, und wie es Nacht ward, kamen die
andern von der Jagd, und die Mahlzeit war bereit. Und als sie am
Tische saßen und aßen, fragten sie: „Was giebt's Neues?" Sprach
Benjamin: „Wißt ihr nichts?" „Nein," antworteten sie. Sprach er
weiter: „Ihr seid im Walde gewesen, und ich bin daheim geblieben und
weiß doch mehr als ihr." „So erzähle uns!" riefen sie. Antwortete
er: „Versprecht ihr mir auch, daß das erste Mädchen, das uns begegnet,
nicht soll getötet werden?" „Ja," riefen sie alle, „das soll Gnade
haben, erzähle uns nur!" Da sprach er: „Unsere Schwester ist da,"
und hub die Bütte auf, und die Königstochter kam hervor in ihren
königlichen Kleidern mit dem goldnen Stern auf der Stirn und war
so schön, zart und fein. Da freuten sie sich alle, fielen ihr um den
Hals und küßten sie und hatten sie von Herzen lieb. Nun blieb sie bei
Benjamin zu Haus und half ihm in der Arbeit. Die elfe zogen in
den Wald, fingen Gewild, Rehe, Vögel und Tauberchen, damit sie zu
essen hatten, und die Schwester und Benjamin sorgten, daß es zubereitet
wurde. Sie suchte das Holz zum Kochen und die Kräuter zum Ge-
müs und stellte die Töpfe ans Feuer, also daß die Mahlzeit immer
fertig war, wenn die elfe kamen. Sie hielt auch sonst Ordnung im
Häuschen und deckte die Bettlein hübsch weiß und rein, und die Brüder
waren immer zufrieden und lebten in großer Einigkeit mit ihr.
Auf diese Zeit hatten die beiden daheim eine schöne Kost zurecht
gemacht, und wie sie nun alle beisammen waren, setzten sie sich, aßen
und tranken und waren voller Freude. Es war aber ein kleines
Gärtchen an dem verwünschten Häuschen, darin standen zwölf Lilien¬
blumen, die man auch Studenten heißt. Nun wollte sie ihren Brüdern
ein Vergnügen machen, brach die zwölf Blumen ab und dachte jedem aufs
Essen eine zu schenken. Wie sie aber die Blumen abgebrochen hatte, in