Die zwölf Brüder.
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demselben Augenblicke waren die zwölf Brüder in zwölf Raben ver¬
wandelt und flogen über den Wald hin fort, und das Haus mit dem
Garten war auch verschwunden. Da war nun das arme Mädchen
allein in dem wilden Walde, und wie es sich umsah, da stand eine alte
Frau neben ihm und sprach: „Mein Kind, was hast du angefangen?
Warum hast du die zwölf weißen Blumen nicht stehen lassen? Das
waren deine Brüder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt."
Das Mädchen sprach weinend: „Ist denn kein Mittel, sie zu erlösen?"
„Nein," sagte die Alte, „es ist keins auf der ganzen Welt als eins, das
ist aber so schwer, daß du sie damit uicht befreien wirst; denn du mußt
sieben Jahre stumm sein, darfst nicht sprechen und nicht lachen, und
sprichst du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine Stunde an den
sieben Jahren, so ist alles umsonst, und deine Brüder werden von dem
einen Wort getötet. Da sprach das Mädchen in seinem Herzen: „Ich
weiß gewiß, daß ich meine Brüder erlöse," und ging und suchte einen
hohen Baum, setzte sich darauf und spann und sprach nicht und lachte
nicht. Nun trug sich's zu, daß ein König in dem Walde jagte, der
hatte einen großen Windhund, der lief zu dem Baume, wo das Mädchen
darauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König
herbei und sah die schöne Königstochter mit dem goldnen Stern auf
der Stirn und war so entzückt über ihre Schönheit, daß er ihr zuriest
ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte
aber ein wenig mit dem Kopfe. Da stieg er selbst auf den Baum,
trug sie herab, setzte sie auf sein Pferd und führte sie heim. Da ward
die Hochzeit mit großer Pracht und Freude gefeiert, aber die Braut
sprach nicht und lachte nicht. Als sie ein paar Jahre miteinander
vergnügt gelebt hatten, fing die Mutter des Königs, die eine böse Frau
war, an, die junge Königin zu verleumden und sprach zum Könige:
„Es ist ein gemeines Bettelmädchen, das du dir mitgebracht hast, wer
weiß, was für gottlose Streiche sie heimlich treibt. Wenn sie stumm
ist und nicht sprechen kann, so könnte sie doch einmal lachen, aber wer
nicht lacht, der hat ein böses Gewissen." Der König wollte zuerst nicht
daran glauben, aber die Alte trieb es so lange und beschuldigte sie so
vieler böser Dinge, daß der König sich endlich überreden ließ und sie
zum Tode verurteilte.
Nun ward im Hofe ein großes Feuer angezüudet. Darin sollte
sie verbrannt werden, und der König stand oben am Fenster und sah
mit weinenden Augen zu, weil er sie noch immer so lieb hatte. Und
als sie schon an den Pfahl festgebunden war und das Feuer an ihren
Kleidern mit roten Zungen leckte, da war eben der letzte Augenblick von