Full text: Germanisches Sagen- und Märchenbuch

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Heldensagen. 
Auf seiner Fahrt kam Sigurd an den Hof des Frankenkönigs 
Giuki. Als er in die Königsburg einritt, staunten alle, die ihn sahen. 
Auf dem edlen Roß Grani, das von Sleipnir stammte, saß der Held. 
Sein Schild flammte in rotem Golde, darauf stand ein Drache gemalt, 
dunkelbraun oben und schön rot unterhalb. Daran erkannte jeder den 
Fafnirstöter. Golden war auch sein Helm, seine Brünne, sein Sattel, 
sein Waffenrock. Sein Haar war lichtbraun und fiel in schönen, langen 
Locken herab auf die Schultern, von gleicher Farbe war sein dichter, 
kurzer Bart. Er hatte ein offenes Antlitz, die Nase hoch und edel ge¬ 
formt, die Augen aber waren so scharf, daß wenige seinen Blick er¬ 
tragen konnten. Sein Leib war ebenmäßig gewachsen, doch viel höher 
als anderer Männer Wuchs; seine Schultern hatten die doppelte Breite. 
Auch seine Stärke war so groß wie seines Leibes Gestalt. Wohl ver¬ 
mochte er das Schwert zu schwingen, den Speer zu schießen, mit dem 
Schilde zu schirmen, den Bogen zu spannen und Rosse zu reiten. Furcht 
kannte er nicht, und seine Lust war, den Freunden Beistand zu leisten 
und sich selbst in Heldenthaten zu versuchen. 
Niemand kannte den Recken am Frankenhvfe. Da ging König 
Giuki selbst ihm entgegen und fragte: „Wer bist du, daß du in die 
Burg einreitest ohne meine Erlaubnis, was noch niemand gewagt hat?" 
„Sigurd bin ich, König Sigmunds Sohn," erwiderte der Held. Da 
hieß ihn der König willkommen und führte ihn in seine Halle. Lange 
blieb Sigurd bei den Franken, und alle gewannen ihn lieb. Auch wuchs 
sein Ansehen von Tag zu Tage, denn alle übertraf er an Mut und 
Wasfenübung, selbst des Königs Söhne, die jungen Giukungen, Gunnar, 
Högni und Guttorm, so tapfer und stark sie sein mochten. Die 
Königin Grimhild aber gewahrte mit Betrübnis, wie oft Sigurd an 
Brunhild gedachte, denn sie meinte, kein größeres Glück könnte ihren: 
Geschlechte widerfahren, als wenn dieser schöne und gewaltige Held ihre 
Tochter Gudrun zum Weibe nähme; auch dünkte sie der reiche Gold¬ 
schatz, den Sigurd mitbrachte, gar begehrenswert. Deshalb mischte sie 
dem Helden einen Vergessenheitstrank, und als diesen Sigirrd, der nichts 
ahnte, getrunken hatte, war seine Liebe zu Brunhild geschwunden, und er 
dachte nicht mehr an sie. 
Eines Abends aber schenkte Gudrun den Männern Met in der 
Halle, und als Sigurd sah, wie schöu die Juugfrau war, faßte er Liebe 
zu ihr. Gunnar merkte das, und weil sie alle den Helden, dessen starker 
Arm ihnen schon gegen viele Feinde geholfen hatte, gern bei sich behalten 
wollten, sprach er zu ihm: „Bleibe bei uns! Unser Reich wollen wir 
mit dir teilen, und du sollst unsere Schwester zur Gattin empfangen:
	        
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