1. Zeus und das Pferd. von eotthoid Cctrtng.
Fabeln. Berlin 1759. 8. 8.
„Vater der Tiere und Menschen," so sprach das Pferd und nahte sich
dem Throne des Zeus, „man will, ich sei eines der schönsten Geschöpfe,
womit du die Welt geziert hast, und meine Eigenliebe heißt mich es glauben.
Aber sollte gleichwohl nicht noch Verschiedenes an mir zu bessern sein?" —
„Und was meinst du denn, daß an dir zu bessern sei? Rede, ich nehme
Lehre an!" sprach der gute Gott und lächelte. — „Vielleicht," sprach das
Pferd weiter, „würde ich flüchtiger sein, wenn meine Beine höher und
schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde mich nicht ver¬
stellen, eine breitere Brust würde meine Stärke vermehren, und da du
mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling, den Menschen, zu
tragen, so könnte mir ja wohl der Sattel anerschaffen sein, den mir der
wohltätige Reiter auflegt." — „Gut," versetzte Zeus; „gedulde dich einen
Augenblick!"
Zeus, mit ernstem Gesichte, sprach das Wort der Schöpfung. Da
quoll Leben in den Staub, und plötzlich stand vor dem Throne — das
häßliche Kamel. Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem
Abscheu. „Hier sind höhere und schmächtigere Beine," sprach Zeus; „hier
ist ein langer Schwanenhals, hier ist eine breitere Brust, hier ist der an¬
erschaffene Sattel! Willst du, Pferd, daß ich dich so umbilden soll?"
Das Pferd zitterte noch. „Geh," fuhr Zeus fort; „dieses Mal sei belehrt,
ohne bestraft zu werden! Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann
reuend zu erinnern, so daure du fort, neues Geschöpf," — Zeus warf
einen erhaltenden Blick auf das Kamel — „und das Pferd erblicke dich
nie, ohne zu schaudern!"
Porger-Lemp, Lesebuch. V.
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