Full text: (Für Quinta) (Abth. 2, [Schülerband])

Erzählende Prosa. 
I. Erzählungen. 
1. Die gute Mutter. 
Von Johann Peter Hebel. Werke. Karlsruhe, 1847. 
Im Jahre 1796, als die Französische Armee nach dem Rückzüge aus 
Deutschland jenseits am Rheine lag, sehnte sich eine Mutter in der 
Schweiz nach ihrem Kinde, das bei der Armee war und von dem sie lange 
nichts erfahren hatte. „Er muß bei der Rheinarmee sein," sagte sie, 
„und der liebe Gott, der ihn mir gegeben hat, wird mich zu ihm führen;" 
und als sie auf dem Postwagen zum St. Johannisthor aus Basel heraus 
in den Sundgau gekommen war, treuherzig und redselig, wie alle Ge¬ 
müther sind, die Theilnahme und Hoffnung bedürfen, erzählte sie ihren 
Reisegefährten bald, was sie auf den Weg getrieben hatte. „Find' ich 
ihn in Colmar nicht, so geh' ich nach Straßburg; find' ich ihn in Stra߬ 
burg nicht, so geh' ich nach Mainz." Die Anderen sagten das und jenes 
dazu, und Einer fragte sie: „Was ist denn Euer Sohn bei der Armee? 
Major?" Da wurde sie fast verschämt in ihrem Inwendigen. Denn 
sie dachte, er könnte wohl Major sein oder so etwas, weil er immer brav 
war, aber sie wußte es nicht. „Wenn ich ihn nur finde," sagte sie, „so 
darf er auch etwas weniger sein; denn er ist mein Sohn." 
Zwei Stunden von Colmar aber, als schon die Sonne sich zu den 
Elsässer Bergen neigte, die Hirten heimtrieben und die Kamine in den 
Dörfern rauchten, sahen sie, wie die Soldaten in dem Lager nicht weit 
von der Straße haufenweise mit dem Gewehr beim Fuß standen, die 
Generale und Obersten aber vor dem Lager mit einander sich unter¬ 
redeten und eine dabeistehende junge Frau von feiner Bildung auf ihren 
Armen ein Kind wiegte. Die Frau im Postwagen sagte: „Das ist auch 
keine gemeine Person, da sie nahe bei den Herren steht. Was gilt's, 
der, welcher mit ihr redet, ist ihr Mann." Der geneigte Leser fängt 
allbereits an etwas zu merken, aber die Frau im Postwagen merkte noch 
nichts. Ihr Mutterherz hatte noch keine Ahnung , so nahe sie an ihm 
vorbeigefahren war, sondern bis nach Colmar hinein war sie still und 
redete nimmer. In der Stadt im Wirthshaus, wo schon eine Gesellschaft 
an der Mahlzeit saß und die Reisegefährten sich auch noch hinsetzten, da 
war ihr Herz erst recht zwischen Bangigkeit und Hoffnung eingeengt, da sie
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.