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A. Erzählende Prosa. IV. Sagen. 6) Griechische Sagen.
49. Odysseus giebt sich den Phäaken zu erkennen.
Nach Karl Friedrich Becker. Erzählungen aus der alten Welt. Halle, 1864.
Scheria ward von dem friedlichen Volke der Phäaken bewohnt,
das Handel und Schiffahrt weit mehr als Ackerbau und Jagd liebte.
Sie hatten sich eine Stadt unfern des Hafens erbaut. Daneben sah
man Schiffswerfte und stets rege Arbeiter, die neue Schiffe zimmerten.
Ordnung, Sitte und Wohlstand blühte unter ihnen, und über sie herrschte
ein milder König, Alcinous genannt, der einen prächtigen Palast in
der Stadt hatte, in welchem sich die vornehmsten der Phäaken täglich
zu versammeln pflegten, um mit ihrem Könige zu opfern und zu
schmausen. In dem wundervollen Segen eines fruchtbaren und durch¬
aus friedsamen Landes hatte sich das Volk zu seltener Bildung und
Betriebsamkeit erhoben.
Odysseus' göttliche Freundin, Athene, ersann nun, während der
Ermüdete schlief, ein Mittel, um ihn, wenn er erwacht sein würde, mit
guter Art zu der Bekanntschaft der Vornehmsten der Insel zu führen
und ihm eine gastliche Aufnahme bei denselben zu bereiten.
Am nächsten Morgen nämlich' kam Nausikaa, des Königs Alcinous
Tochter, wie Athene im Traume ihr eingegeben hatte, an das Ufer des
Flusses gefahren, wo Odysseus schlief, um mit ihren Mägden in den
klaren Wellen die Mäntel, Gewänder und Decken der königlichen Fa¬
milie zu waschen. Während das Zeug auf dem reinen Uferkies zum
Trocknen ausgebreitet lag, ergötzten sich die scherzenden Mädchen mit
Ballspiel. Die schalkhafte Nausikaa wollte eben eine andere mit dem
Balle werfen; aber der Ball traf nicht und fiel weit weg in den Strom
hinein. Wie kreischten die mutwilligen Mädchen auf! Von den Ufern
schallte der Jubel wieder, denn die Mädchen konnten nicht aufhören
frohlockend in die Hände zu klatschen. Und siehe, wunderbar hatte es
Athene so veranstaltet. Denn gerade das laute Gelächter weckte den
schnarchenden Odysseus, der bis dahin in seinem Gebüsche weder etwas
von den nahen Wäscherinnen gehört hatte noch von ihnen bemerkt war.
Er richtete sich horchend auf, rieb sich die Augen und zupfte sich die
Blätter aus Haar und Bart.
Halt, dachte er, das sind Menschen. Aber wehe mir, was für
Menschen werden es sein? Unmenschliche Räuber vielleicht und rohe
Barbaren, die meine Sprache nicht verstehen und von Göttern und
Gastfreundschaft nichts wissen. Aber es klang ja wie Mädchengekreisch,
und sie lachten so herzlich; gefährlich kann das nicht sein. Ich muß
nur hervorkriechen und die Menschenkinder besehen. Er wand sich
aus dem Dickicht heraus, schüttelte das Laub von sich, und weil er
ganz unbekleidet war und sich billig schämte nackt vor ihnen zu er¬
scheinen, so brach er sich mit nerviger Faust einen buschichten Zweig
ab und hielt ihn vor den Leib, um seine Blöße damit zu decken. So
kam er wie ein wildes Waldungeheuer hervor. Die Mädchen, die ihn
von ferne kommen sahen, erschraken, schrieen laut auf und liefen davon.
Nausikaa jedoch war ein beherztes Mädchen. Sie blieb ruhig stehen