wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der
5 Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee.
Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei
sich: „Hätt' ich ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und
so schwarz wie das Holz an dem Rahmen!" Bald darauf bekam sie
ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und
10 so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum das Sneewittchen
(Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die
Königin.
2.
Über ein Jahr nahm sich der König eine andre Gemahlin. Es
war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte
nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden.
Sie hatte einen wunderbaren Spiegel; wenn sie vor den trat und sich
5 darin beschaute, sprach sie:
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?"
so antwortete der Spiegel:
„Frau Königin, ihr seid die schönste im Land."
10 Da war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahrheit sagte.
Sneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als
es sieben Jahre alt war, war es so schön wie der klare Tag und
schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte:
„Spieglein, Spieglein an der Wand,
15 wer ist die schönste im ganzen Land?"
so antwortete er:
„Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als ihr."
3.
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid.
Von Stund' an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das
Herz im Leibe herum, so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und
Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen, immer höher, daß
5 sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger
und sprach: „Bring das Kind hinaus in den Wald! Ich will's nicht
mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge
und Leber znnl Wahrzeichen mitbringen!" Der Jäger gehorchte und
führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte und
10 Sneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen
und sprach: „Ach, lieber Jäger, laß mir mein Leben, ich will in den