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Das Höchstpersönliche im Leben des Einzelnen wie der Völker, die
Welt der Ideale blieb ihm unfaßbar. Die weite Welt durchschaute die
Gründe seines Sturzes, er allein nicht; denn wie sollte der Heimatlose
verstehen, daß den Völkern selbst die heimische Unsitte teurer ist als
die fremde Silte? Erwägen wir dies, so erkennen wir die schreckliche
Wahrheit in dem tollen Worte Blüchers: „Laßt ihn machen, er ist doch
ein dummer Kerl.“
Die Furchtbarkeit der Einbildungskraft des Korsen überbietet die
verwegensten Dichterträume. Riesenhaft sind seine Kriegsentwürfe. Welch
ein Plan, den er im Lager von Boulogne beschloß: seine Flotte sollte
die englische nach Westindien locken, dann umkehren, die Schiffe des
Feindes in Kanal zerstreuen und dem Kaiser die Überfahrt ermöglichen;
und gleich darauf der glänzende Zug vom Kanal zur Donaul! Und
doch ist der Mann mit seiner unerschoͤpflichen Phantasie eine prosaische
Natur. Von jener Fülle des Schönen, darin das achtzehnte Jahrhundert
schwelgte, ist selten ein Strahl in dieses Herz gedrungen: kaum daß
Werthers Leiden oder Ossian ihn ein wenig beschäftigten. In der langen
Bändereihe seiner Briefe wird man vergeblich nach einer Stelle suchen,
die ein interesseloses, menschliches Wohlgefallen an Kunst und Wissen—
schaft verriete. Mag er auch dann und wann versichern, einzelne ehrliche
Freunde der Wahrheit seien vielleicht zu finden uͤnter den Heuchlern,
die man gebildete Leute nenne — er glaubt doch nicht an die Hoheit
der Menschenseele. Alle idealen Gedanken sind ihm „Romane“, gut
genug für Proklamationen und gedruckte Reden. Darum ist in ihm,
wie in allen glaubenlosen Naturen keine Entwickelung zu finden; härter,
grausamer würde seine Art in den Kämpfen des Lebens, doch im
wesentlichen ist kein Unterschied zwischen dem Militärschüler und dem Kaiser.
Wieviel günstiger hat sich das Urteil der Menschen über Cromwell
und Friedrich gestaltet, seit wir durch die Sammelwerke Carlyles und
der Berliner Mademie einen Einblick erhielten in das Seelenleben der
beiden. Anders der Eindruck, den wir aus Napoleons Briefen empfangen:
eine entschieden unedle Natur tritt uns hier entgegen. Es ist unmöglich,
den Gewaͤltigen nicht zu bewundern, aber nöch unmöglicher, ihn zu
lieben. Auf mochte er hinreißend liebenswürdig erscheinen,
wenn er etwa einen Grenadier am Ohrläppchen zupfte, und selbst einen
Goethe hat die gewinnende Weise des dämonischen Mannes bezaubert.
Er kann kosen ünd schwärmen in jenen Stunden der Selbstvergessen—
heit, die in keinem Menschenleben fehlen: dabei bleibt sein Herz doch
eisigkalt, verschlossen jeder holden Empfindung. In den kurzen barschen
Briefen an jene Josephine, die er auf seine Weise liebte, empört uns
die Armut und Trockenheit des Gemüts. Als er sich von seiner Ge—
mahlin trennen will, da muß der Sohn, Prinz Eugen, die Unterhandlung
mit der Mutter führen und die Ehescheidung vor den großen Staats-
körperschaften verteidigen. Wann wurde jemals ruchloser gespielt mit
den heiligsten Gefühlen? Echte Freundschaft hat er nie gekannt, noch
minder jenen poetischen Drang, sich ein Idealbild von seiner Umgebung
zu schaffen, welcher dem großen Friedrich soviel Pein und soviel Selig-
keit bereitete. Schwerlich wird man in seinen Worten oder Werken
auch nur einen Zug entdecken, den man schlechtweg edel nennen könnte.