fröhlichen Hochzeit verlebten die beiden glückliche Tage. Endlich
fiel es dem Manne auf, daß er nie eine Thräne in den Augen
feiner schönen, sanften Frau sah, — auch dann nicht, wenn er sie
einmal im Zorn gekränkt hatte. Sie sah ihn dann nur so schmerzlich
mit umflorten Augen an, daß er es viel lieber gesehen hätte, wenn
ihr die Augen in Thränen übergegangen wären. Als er sie da¬
her eines Tages fragte, wie es komme, daß sie nie weine, gab
sie ihm traurig zur Antwort: „Ach, ich möchte oft gar gern wei¬
nen, aber ich habe keine Thränen. Als ich noch ein kleines Mäd¬
chen war, konnte ich meine Schmerzen ausweinen; aber meine
Augen wurden plötzlich trocken, und ich habe nie wieder weinen
können." Da bedauerte der Mann sein armes Weib, hatte es
aber um so lieber und war um so mehr darauf bedacht, ihm
keine Ursache zu Kummer und Schmerz zu geben.
Nach zwei Jahren schenkte Gott der sanften, thränenlosen
Frau ein schönes Knäblein. Nun hätte sie in ihrem Mutterglück
gern Freudenthränen vergossen; aber sie konnte das Kind nur
mit vor Freude leuchtenden Augen ihrem Manne auf die Arme
legen, der es laut jubelnd nahm und mit ihm im Zimmer auf
und nieder tanzte.
Eines Tages wurde der schöne Knabe krank und schwand sichtbar
dahin, ohne daß der Arzt einen Rat wußte. So oft der Vater
sein liebes Kind anblickte, füllten sich seine Augen mit Thränen;
die arme Mutter aber saß Tag und Nacht mit thränenlosen Au¬
gen neben dem Bette ihres Kindes und lauschte auf jeden Atem¬
zug. Als sie nun wieder einmal tief in der Nacht allein an dem
kleinen Bette saß, hörte sie plötzlich den Atem ihres Kindes nicht
mehr gehen; sie beugte sich voller Angst auf den Kleinen herab;
seine Augen waren gebrochen, das Kind war tot. Da schrie sie
laut auf, und als ihr Mann herbeikam, fiel sie ihm weinend um
den Hals und führte ihn zu der kleinen Leiche, und ihre heißen
Thränen fielen auf das schöne, bleiche Kindergesicht. Der Zauber
war gelöst; denn sie hatte das schwerste Leid erfahren, das über
ein Menschenherz kommen kann, den tiefsten Schmerz einer
Mutter. Sie weinte und weinte den Pfühl naß, auf dem das
Kind lag, und — plötzlich regte sich das Kind, schlug die Augen
aus und streckte die kleinen Arme der Mutter entgegen. Die