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Wahrheit will ich den Kampf bestehen." Nun streifte Brunhilde den
Ärmel auf an den weißen, vollen Armen, schickte sich, faßte den Schild
an die Hand und schwang den Spieß in die Höhe. Mit aller Kraft
warf sie ihn, daß feine Schneide durch Siegfrieds Schild fuhr und
das Feuer lohend aus den Ringen des Panzers sprühte. Das Blut
floß Siegfrieden aus dem Munde; er strauchelte, aber bald stand er
wieder fest, kehrte den Speer herum und warf ihn mit solcher Wucht
nach Brunhilden, daß diese dem Schusse nicht zu stehen vermochte,
sondern zur Erde fiel. Aber im Augenblicke sprang sie auf die Füße,
eilte zornigen Mutes nach dem Steine, warf ihn zwölf Klafter weit
und überholte ihn im Sprunge, daß ihr Eifengewnnd laut erklang.
Schnell ging Siegfried an den Ort, wo der Stein lag, ließ ihn zum
Scheine von Günther in der Hand wägen und warf ihn weiter als
Brunhilde; dann sprang er, den König unter dem Arme, in fliegen¬
dem Sprunge nach, über den Stein hinaus. Da sprach Brnnhilde, rot
vor Grimm, zu ihrem Ingesinde: „Ihr meine Freunde und Mannen,
kommt herzu! Ihr alle sollt dem Könige Günther untertan werden."
Mit großem Jubel wurden die Heimkehrenden in Worms empfangen.
Kriemhilde ging der Frau Brunhilde entgegen, küßte sie oft auf den
Mund und sprach: „Ihr sollt uns in diesen: Lande willkommen sein,
mir und meiner Mutter und allen unseren Mannen und Frauen,
welche treu zu uns stehen."
Als nach den festlichen Kampffpielen König Günther mit den
Gästen zu Tische gehen wollte, trat Siegfried an ihn heran und sprach:
„Gedenket, Eure Hand schwur mir, die Schwester mir zu geben, wenn
wir Brunhilden glücklich in dieses Land brächten." Da sprach der Wirt
zu seinem Gaste: „Recht, daß Ihr mich mahnet. Ich will den Eid halten,
den ich mit Hand und Mund geschworen habe." Kriemhilde wurde in¬
mitten des weiten Saales in den Ring der edlen Ritter vor den König:
gerufen. Er sprach: „Schwester, bei deiner Zucht und Güte bitte ich
dich, löse meinen Eid! Ich habe dich einem Necken zugeschworen, und
nimmst du ihn zum Manne, so hast du meinen Willen mit großer
Treue getan." Die edle Maid antwortete: „Lieber Bruder, wollt mich
doch nicht bitten. Ich will gehorsam sein und dem mich verloben, den
Ihr mir zum Manne gebt." Da ließ der König Siegfrieden in den
Kreis treten und fragte Kriemhilden, ob sie diesen Recken zum Manne
haben wollte. Wohl schämte sie sich ein Teil, wie die Mädchen
pflegen; aber mit Freuden nahm sie die Hand und den Kuß, den ihr
Siegfried in Gegenwart der Könige und der Helden gab.
Bei Tische saß Günther neben Brunhilden, ihnen gegenüber Sieg¬