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schlachteter Tiere ist der Platz bedeckt. Und in der Ferne, wo die Häuser
des nächsten Dorfes aus dem Baumlaube ragten, erkennt er auch die
Umrisse der Dächer nicht mehr; nur die Wände stehen wie ein Trümmer¬
haufen.
Herb war es, solche Stunden zu durchleben, und auf Tage entfiel
wohl manchem der Mut. Auch dem Begüterten wurde jetzt schwer, den
Seinen nur das Leben zu fristen. Alles war aufgezehrt und verwüstet,
die Lebensmittel der Stadt und der Umgegend, und kein Landmann brachte
das Unentbehrliche auf den Markt; weit in das Land mußte man senden,
den Hunger zu stillen. Aber der Mensch wird bei einer schnellen Folge
großer Ereignisse kälter, zäher, härter gegen sich selbst; d'er starke Anteil,
den jeder einzelne an dem Schicksale des Staates nahm, machte gleich¬
gültiger gegen die eigene Not. Nach jeder Gefahr empfand man mit Behagen,
daß man das Letzte, das Leben doch gerettet habe. Man hoffte — und siegte.
Freytag.
«8. Die wundervolle Ordnung des Staates.
Die biblische Geschichte erzählt uns von Abraham und Lot, wie sie
in Streit über ihre Weideplätze gerieten aber sich lieber mit ihren Herden
trennten als uneinig zusammenlebten. Sie konnten dieses Auskunfts¬
mittel zum Frieden ergreifen, denn als Nomaden waren sie nirgends
angesiedelt. Hätten sie aber einen festen Wohnplatz gehabt, so wäre
ihnen nichts übrig geblieben, als sich zu vertragen. Und was wäre wohl
das nächste für diesen Zweck gewesen, um häufigen Streit zu verhüten?
Offenbar mußten sie ihren Besitz genau abgrenzen. Wenn nun die Zahl
der Zusammenwohnenden wuchs, wenn nicht mehr jeder für seine Be¬
dürfnisse selbst sorgte sondern der eine dieses, der andre jenes Gewerbe
trieb und sich zunächst ein Tauschhandel entwickelte, wenn dadurch
die Fragen über das „Mein und Dein" immer schwieriger wurden,
wenn endlich unter den durch ihre Wohnsitze verbundenen Köpfen auch
unruhige waren, die in Schranken gehalten und nötigenfalls durch
Strafen von der Wiederholung ihrer Ruhestörungen und Missetaten ab¬
geschreckt werden mußten: so ist leicht einzusehen, daß es fester Gesetze
bedurfte, durch die Handel und Wandel geregelt und jedem das Maß
seiner Freiheit zugewiesen wurde, damit er die andern nicht in ihren
Ansprüchen auf die gleiche Freiheit beeinträchtigte. Und nicht nur mußte
bestimmt werden, was als Recht gelten sollte, sondern auch, wer es zu
verwalten und darüber zu wachen habe, daß es nicht übertreten würde.
Schon das Zusammenleben nomadischer Hirtenstämme ist undenkbar
ohne gewisse rechtliche Bestimmungen und ohne die Unterordnung der
Menge unter ein gemeinsames Oberhaupt. Wieviel weniger läßt sich
eine aus so vielen und so verschiedenartigen Bestandteilen bestehende
Gemeinschaft denken wie diejenige, in der wir leben, ohne daß noch eine
weit genauere Bestimmung dafür getroffen ist, daß jedem das Seine
werde: dem Käufer und Verkäufer, dem Gläubiger und Schuldner, dem