Full text: Oberstufe: Erster Kursus (Teil 5, [Schülerband])

120 
kelche um den erhabenen Geist herumlegt und an dessen Gebeten alles 
mitbetet, was ihn beten hört. — Und für Menschenkinder ist ja der 
Frühling der schönste Priester. 
Der Mensch ist nie so schön, als wenn er um Verzeihung bittet 
oder selber verzeiht. 
Unser ganzes Leben ist ein nie wiederkehrender Geburtstag dev 
Ewigkeit, den wir darum um so heiliger und freudiger begehen sollten. 
67. bürgerliches Leben im Mittelalter. ' 
1. Bauart der Städte. 
Im 12. Jahrhundert begannen die Städte allmählich sich ihres 
altbäuerischen Gewandes zu entkleiden. Die Äcker, Weinberge und Gärten 
im Mauerbezirk verschwanden, die meisten Plätze wurden bebaut, in jeden 
Winkel drang das industrielle und commercielle Leben ein. An eine 
regelmäßige Straßenanlage war nun freilich nicht zu denken. Die großen 
Höfe des Adels und der Klöster, die Stifter und Pfalzen behaupteten 
ihren alten Platz und nahmen den größten Raum ein, dazwischen drängten 
sich die Hütten der Handwerker, die Warenlager der Großhändler und 
die Verkaufsstände der Krämer. Die Straßen wurden eng und winklig, 
wi§ der Zufall es ergab, und man war keineswegs darauf bedacht, auch 
nur den gröbsten Unbequemlichkeiten vorzubeugen. Da sich das Bürger¬ 
haus weder in der Breite noch in der Tiefe recht ausdehnen konnte, 
so fing man frühzeitig an, mehrere Stockwerke über einander zu bauen. 
Und damit begnügte man sich nicht. Man rückte das erste, nicht selten 
auch das zweite Stockwerk mehrere Fuß weit über das Parterre hinaus, 
dadurch gewann man Zimmerräume (Gaden) nach der Straße zu. Solche 
Überhänge, Übergezimmer oder Ausschüsse benahmen den an sich engen 
Straßen vollends Licht und Luft. Daneben bestand seit den Kreuzzügen 
die aus dem Morgenlande stammende Sitte, die Häuser mit weit vor¬ 
springenden Erkern zu versehen. Ferner legten die Handwerker und 
Krämer ihre Verkaufsstände unmittelbar vor der Hausthür an und über¬ 
bauten sie mit einem Dache. Man nannte diese Vorbauten Schoppen, 
Vorkräme oder Lauben. Dazu erstreckten sich lange Kellerhälse weit auf 
die Straße heraus und versperrten den Weg. Ja, es war nichts Un¬ 
gewöhnliches, daß man die Schweineställe unmittelbar vor die Hausthür 
baute. Bei solcher Beschränkung der Straßenbreite darf es nicht Wunder 
nehmen, wenn die Straßen das Gedränge oft nicht fassen konnten. 
Noch immer baute man größtenteils aus Holz. Steinerne Häuser 
waren so selten, daß sie ausdrücklich als solche ausgezeichnet werden, 
wenn von ihnen die Rede ist, ja sie führten geradezu den Namen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.