209
O sprecht! Warum zogt ihr von dannen?
Das Neckarthal hat Wein und Korn;
Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen,
Im Spessart klingt des Älplers Horn.
Wie wird es in den fremden Wäldern
Euch nach der Heimatberge Grün,
Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern,
Nach seinen Rebenhügeln ziehn!
Wie wird das Bild der alten Tage
Durch eure Träume glänzend wehn!
Gleich einer stillen, frommen Sage
Wird es euch vor der Seele stehn.
Der Bootsmann winkt! — Zieht hin in Frieden;
Gott schütz' euch, Mann und Weib und Greis!
Sei Freude eurer Brust beschieden
Und euren Feldern Reis und Mais! Frciligrath.
120. Der Sturm auf der Nordsee.
Es war am letzten August des Jahres 1829. Am Nachmittag
hatte sich ein Sturm aus Nordwesten erhoben, so wild, so furchtbar,
wie die Bewohner von Helgoland lange keinen erlebt hatten. Die
grösten Felsblöcke am Vorlande tanzten auf den Wellen wie Kork¬
stückchen und knirschten aneinander, als würden sie zu Staub zer¬
malmt. Die ganze See schien zu kochen; man sah keine Fläche,
keine Welle, nichts als umhergejagten Schaum; die Brandung brüllte
zwischen dem Neustag und dem alten Mönch und in dem alten
Mörmersgatt und tobte zwischen den Klippen, daß der Gischt die
Menschen, welche oben am Leuchtturme standen, völlig durchnäßte.
Da standen die Männer und Frauen von Helgoland und schauten
hinaus nach der Weser, wo sich ein verlorenes Fahrzeug sehen ließ,
welches schwer mit dem Sturme kämpfte. Immer mehr wich es
trotz aller straff gespannten Segel nach Osten ab und war schon
bei Neuwerk vorbei getrieben, nahe dem Vogelsand. Da stürzte
plötzlich mit fliegenden Haaren ein Weib unter die Menge und
schrie: „Rettet, rettet meinen Mann, euren Freund! Kennt ihr denn
die Dorothea nicht mehr?" Und so war's — die Dorothea von
Bremen kommend und geführt von einem der besten Burschen, dem
Jakob Jaspersen Das Weib jammerte, rang die Hände, umschlang
die Kniee der Männer und flehte um Rettung. Es war umsonst.
Die erfahrenen Schiffer wußten zu gut, daß bei dem Wetter kein
VI 14