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Wenn er mit andern zu Fuße wanderte, war er immer sehr vergnügt, wenn
es bergan ging, und sehr kleinmüthig, so oft sie bergunter gehen mußten. Als man
ihn fragte/wie er doch so ein sonderbarer Geselle sei, gab er die Antwort: „Wenn
wir bergan gehen, da freue ich mich schon, wie leicht wir's haben werden, den Berg
hinunter zu gehen; aber wenn cs bergnnter geht, da weiß ich, daß bald wieder
eine Anhöhe kommt, die wir mühsam ersteigen müssen. „Wir sollen", setzte er hinzu,
„nicht bloß an die Gegenwart denken, sondern immer schon an die Zukunft."
Eines Tages begegnete ihm ein Fuhrmann, der auf einer steinichten Straße
seine Pferde über die Gebühr antrieb, so daß sie laufen mußten. „Kann ich", fragte
er im Vorbeigehen, „noch wohl vor Abend zur Stadt kommen?" „Wenn ihr lang¬
sam fahret", antwortete Eulenspiegel. Der Kerl ist wohl nicht klug, dachte der
Fuhrmann und trieb die Pferde nur noch mehr an. Gegen Abend kam Eulenspiegel
auf demselben Wege zurück und traf den Fuhrmann wieder auf der Straße an und
zwar in großer Verlegenheit. Durch das Jagen aus steinichtem Boden war ihm
nämlich ein Rad gebrochen. Er konnte deshalb mit seinem Wagen nicht aus oer
Stelle und mußte sich bequemen, die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen.
„Sagte ich's euch nicht", sprach Eulenspiegel, „daß ihr langsam fahren müßtet, wenn
ihr noch zur Stadt wolltet?"
Till Eulenspiegel war in einem Dorfe unweit Schöppenstedt im Herzogthum
Braunschweig geboren; er starb 1350 in dem Städtchen Möllen, vier Meilen von
Lübeck, wo man einen Grabstein mit seinem Wappen zeigt. So oft er nämlich an
einem Orte einen Muthwillcu verübt hatte und, um den Folgen zu entgehen, sich
aus dem Staube machte, zeichnete er mit Kreide an die Thür des Hauses einen
Spiegel mit einer Eule und schrieb darunter: Der ist es gewesen. Noch jetzt nennt
man muthwillige, verkehrte und närrische Handlungen Eulenspiegel st reiche.
Volksbuch.
241. Die Honigbiene.
Wenn die ersten goldenen Strahlen der Frühlingssonne die reine
Luft erwärmen, und diese den Bienenstock durchdringt, da regt
sich’s dort drinnen in lautem Summen und Brummen. Bald lassen
die ersten und ungeduldigsten der Bewohner an den Fluglöchern
sich blicken und, scheint die Sonne noch ein wenig wärmer, zum
ersten Ausfluge verleiten, den sie aber meistens mit dem Leben be¬
zahlen müssen. Wir finden sie dann wohl dutzendweise erstarrt
über den Schnee zerstreut, und wer, milden Herzens, sich die
Müsse nehmen will, der darf sie nur aufsammeln und in der hohlen
Hand anhauchen, um sie nach einigen Minuten erwacht und ganz
munter dem Stocke zurückgehen zu können. Wenn der „Bienen-
vatef“ in diesen Tagen — meistens in der Mitte oder zu Ende des
Februar — nicht sorgsam die Stöcke überwacht und die Fluglöcher
während der Mittagsstunden schliesst, so gehen ihm eine Menge der
kräftigsten und besten Bienen zu Grunde.
Kurze Zeit nachher, sobald die Sonne die weisse Decke von
der Erde völlig abgeräumt hat, halten die Bienen ihre ersten ordent¬
lichen Ausflüge, und bald beginnt die zu ihrer ganzen Regsamkeit
erwachte Bewohnerschaft des Bienenhauses mit der wichtigen und
sehr nothwendigen Säuberung ihrer Wohnung. Die Zellen werden
ausgebessert und besonders die für die Brut bestimmten in Stand
gesetzt. Ferner wird Harz von Fichten-, Balsampappel- und Ka-
stanien-Knospen eingesammelt, um mit demselben alle Ritzen, Fugen
und Löcher zu verkleben, die durch den Frost, durch Mäuse, Käfer
und andere böse Gäste hervorgebracht sind.