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Dochte in Leuchtgas, das sich sogleich entzündet. Das Licht brennt. Da¬
durch ist aber der lockere Docht, soweit er in die heiße Flamme hineinragt,
trocken geworden. Er saugt nun wie ein Schwamm den Talg ein, der
unter ihm in der Hitze der Flamme flüssig geworden ist. Sobald dieser
frische Talg in den Bereich der Flamme kommt, wird er sogleich in
Leuchtgas verwandelt und verbrennt. In dieser Weise geht's fort; das
Licht erzeugt das nöthige Leuchtgas immer von neuem selbst und kan»
daher ruhig weiter brennen. Nun ist's auch erklärlich, weshalb der von
einer eben ausgeblasenen Kerze aufsteigende Rauch so leicht brennt, sobald
man ihm ein brennendes Streichhölzchen nähert. Karass-r.
421. Die Überschwemmungen der Halligen.
Zur Gewohnheit sind den Bewohnern der Halligen, der kleinen
Eilande an der Westküste des Herzogthums Schleswig, die Überschwem-
mungen geworden, die, alles flache Land überwogend, an den Werften
hinaufsteigen und an die Mauern und Fenster der Hütten mit ihrein
weißen Schaum anschlagen. Da blicken denn diese Wohnungen aus der
weiten, wogenden Wasserfülle nur noch als Strohdächer hervor, von denen
man nicht glaubt, daß sie menschliche Wesen bergen, daß Greise, Männer,
Frauen und Kinder unterdessen völlig ruhig um ihren Theetisch her sitzen
und kaum einen flüchtigen Blick auf den herandrängenden Ocean werfen.
Manch fremdes, aus seiner Bahn verschlagenes Schiff segelte schon in
solchen Zeiten bei nächtlicher Weile über eine Hallig weg, und die er¬
staunten Seeleute glaubten sich von Zauberei umgeben, wenn sie auf
einmal neben sich ein freundliches Kerzenlicht durch die hellen Fenster-
einer Stube schimmern sahen, die, halb von den Wellen bedeckt, keinen
andern Grund als die Wellen zu haben schien. Aber es bricht der Sturm
zugleich mit der Flut auf das bange Eiland ein. Die Wasser steigen
gegen sieben Bieter über ihren gewöhnlichen Stand hinauf. Die Wogen
dehnen sich zu Berg und Thal, und das Meer sendet in immer neuen,
langen Zügen seine volle Gewalt gegen die einzelnen Werste, um sie aus
seiner Bahn wegzuschieben. Der Erdhügel, der nur eine Zeit lang zitternd
widerstand, gibt nach; bei den unausgesetzten Angriffen bricht ein Stück
nach dem andern ab und schießt hinunter. Die Pfosten des Hauses,
welche die Vorsicht eben so tief in den Boden hineinsenkte, als sie darüber
hervorstehen, werden dadurch entblößt; das Meer faßt sie, rüttelt sie. Der
erschreckte Bewohner des Hauses rettet erst seine besten Schafe hinauf auf
den Boden; dann flieht er selbst nach. Und hohe Zeit war es; denn schon
stürzen die Mauern, und nur noch einzelne Ständer halten den schwan¬
kenden Dachboden, die letzte Zuflucht. Mit furchtbarem Siegesübermuth
schalten nun die Wogen in dem untern Theile des Hauses; sie werfen
Schränke, Kisten, Betten, Wiegen mit wildem Spiel durcheinander, schla¬
gen sich immer freieren Durchgang, um alles hinauszureißen auf den
weiten Tummelplatz ihrer unbändigen Kraft, und der Stützpunkte des
Daches werden immer weniger, des Daches, dessen Niedersturz rettungslos
einer im sanften Arm des Schlummers ruhenden Familie ein schäumendes
Grab bereitet. Ängstlich lauscht das Ohr, ob nicht das Brausen des
Sturmes abnehme; .ängstlich pocht das Herz bei jeder Erschütterung.