Full text: [Teil 3 (6., 7. & 8. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 (6., 7. & 8. Schuljahr), [Schülerband])

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Das Haus Gruit van Steen. 
Das Handelshaus Gruit van Steen war im Beginne 
des siebzehnten Jahrhunderts eines der angesehensten und reichsten 
in Hamburg. Inhaber der Handlung war damals Hermann 
Gruͤit, der nach dem Tode des ehrwürdigen Vaters mit der 
Handlung und dem Hause auch den alten Jansen als Erbstück 
uͤbernommen hatte. Jansen war ein goldtreuer Diener des Hauses 
und mit Leib und Seele, wie sonst dem alten, nun dem jungen 
Herrn zugethan, welchen er schon als Kind auf den Knieen ge— 
schaukelt hatle. Wenige verstanden das Handelswesen damaliger 
Zeit bis in seine äußersten Verzweigungen so von Grund aus 
wie der alte Jansen; daher galt auch sein Wort in der Schreib— 
stube wie das des Herrn selbst. 
Es war im Jahre 1638. Schon zwanzig Jahre hatte der 
furchtbare Krieg in unserm armen Vaterlande mit Raub, Mord 
und Brand gewütet; Städte und Dörfer waren zu Hunderten 
verheert und von den Bewohnern verlassen, die sich mit dem 
Vieh in die Wälder geflüchtel hatten, um vor den räuberischen 
Landsknechten geschützt zu sein. Bei diesem allem und bei der 
Unsicherheit der Straßen in allen Ländern war es kein Wunder, 
daß der Handel stockte und vorzüglich der Vertrieb ins Innere 
von Deuischland gelähmt war. Das fühlte man auch in dem 
Geschaäfte des Herrn Hermann Gruit, da schon seit längerer Zeit 
viel seltener und weniger bepackt die Saumrosse und Frachtwagen 
vor dem Hause hielten; im Hause war es oft wochenlang so still 
wie in der Kirche, während es sonst an manchen Tagen in und 
vor demselben fast so lebhaft herging wie auf dem großen Markte. 
Eines Morgens saß Herr Jansen in der Geschäftsstube. 
fter schüttelte er schweigend den Kopf; dann schaute er lange 
gedankenvoll von seinen Briefen weg hinauf an die braungetäfelte 
Zimmerdecke, als wolle er die Fliegen oben zählen; wohl sechsmal 
nacheinander tunkte er mit seinem Schwanenkiel in das große, 
silberne Tintenfaß und schlug zuletzt die übervolle Feder gewaltig 
auf den Tisch, sodaß der vor ihm liegende angefangene Brief von 
oben bis unten mit Tintenflecken bespritzt wurde. Herr Hermann 
Gruit, der ihm gegenüber saß, fuhr fast vom Sitze auf und 
sagte: „Ei, Jansen, seid Ihr denn heute vielleicht zum erstenmal 
in Eurem Leben in den Ratskeller geraten und habt von einem 
spanischen Faäßlein gekostet?“ — „Nein, Herr,“ antwortete Jansen 
mürrisch, „aber so geht's nimmer; bei uns in Deutschland ist's 
aus mit dem Gewinn auf dem gewöhnlichen Wege bei dem ver— 
wetterten Kriege. Was hilft uns unser großes Schiff, das immer 
an der Küste wie eine Schnecke sich hinwindet, um uns die teuren 
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