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vierunddreißigstes Kapitel. 
König Wilhelm I. und sein Minister Kerr v. Bismarck. 
Der „Militärkonflikt" zwischen der Regierung und der 
Volksvertretung dauerte auch nach der Thronbesteigung Wil- 
Helms I. ungemildert fort. Der König, fest durchdrungen von der 
Notwendigkeit einer Heeresreorganisation für die Größe, ja für 
die Sicherheit Preußens, konnte von seinem Plane nicht lassen. 
Die Volksvertretung dagegen ließ sich von dieser Notwendigkeit 
nicht überzeugen und beharrte auf ihrem Recht, Ausgaben, die 
sie nicht für begründet hielt, zu verweigern. Tief betrübt über 
diesen Zwiespalt mit seinem Volke, war der greise König nahe 
daran, abzudanken und es seinem Sohne zu überlassen, wie er 
aus dieser Sachlage herauskommen werde; da ergriff er ein 
letztes Mittel: er berief an die Spitze des Ministeriums den 
damaligen preußischen Gesandten in Paris, Herrn von Vis - 
m a r ck - S ch ö n h a u s e n, der sich bereits als ein Staatsmann 
von ebensoviel Einsicht als Willensstärke bewährt hatte. 
Der jetzige Fürst Bismarck war vom Hause aus ein geb^i. Apr» 
einfacher Edelmann. Er war geboren in Schönhausen (Prot). 
Sachsen), dem Stammsitz seiner Familie. Im Vereinigten Land- 
tage und im Abgeordnetenhause hatte er sich als schlagfertiger 
Redner und fester Charakter gezeigt. Dann war er zum Bun- 
destagsgesandten ernannt worden. In dieser Stellung hatte er 
sich überzeugt, daß die Bundesverfassung für die deutsche Nation 
nachteilig und daß das einzig Richtige eine solche Gestaltung 
Deutschlands sei, welche Preußen an die Spitze stelle. Er war 
sodann in Petersburg und Paris Gesandter gewesen und hatte 
an diesen beiden wichtigen Punkten wertvolle Erfahrungen 
gesammelt und Verbindungen angeknüpft. Als Ministerpräsident 
ließ er es sein erstes Geschäft sein, die vom König angebahnte 
Neubildung des Heeres durchzuführen. Der fortgesetzte Wider- 
stand des Abgeordnetenhauses dagegen brachte es so weit, daß 
Bismarck, der von der unbedingten Notwendigkeit der Heeres- 
reorganisation ebenso fest überzeugt war, wie der König, und 
der die weitgehendsten politischen Pläne damit verband, zu nicht 
streng verfassungsmäßigen Mitteln griff, um nur sein Ziel zu 
erreichen („ Verfassung skouslikt"). Später, als das, 
was er beabsichtigt hatte, in glänzendster Weise gelungen war, 
hat er sich vor dem Abgeordnetenhause darüber gerechtfertigt, 
Biedermann, Leitf. d. deutschen Geschichte. ß
	        
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