Full text: Lesebuch zur Geschichte der deutschen Literatur alter und neuer Zeit

A. Die heidnische Volkspoesie und die Dichtungen 
der Geistlichen. 
I. Der heidnische Volksgesang. 
(8. 1. 2 Lehrb. F. 3832.) 
1. Die Kriegslieder der Germanen nach Tacitus. 
(Germ. 2. 3. Ann. II. 88.) 
Die Germanen preisen in alten Volksliedern, der einzigen Art geschicht— 
licher Denkmäler, den erdentsprossenen Gott Tuiscon und dessen Sohn Mannus, 
als des Volkes Stammväter und Gründer. Dem Mannus geben sie drei 
Söhne, nach deren Namen die zunächst am Ocean wohnenden Stämme Ingä— 
voner, die mittlern Herminoner, die übrigen Istävoner genannt werden. Einige 
aber nehmen beim Schwanken alterthümlicher Sagen mehrere Göttersöhne, und 
mehrere Völkerbenennungen, Marsen, Gambrivier, Sueven, Vandalen an, alles 
ächte und uralte Namen. — 
Auch Hercules, erzählen sie, sei bei ihnen gewesen, und sie besingen ihn 
beim Auszug in den Streit als den ersten aller Helden. Dann haben fie 
noch eine Art Kriegslieder, Bardit genannt, durch deren Anstimmung sie die 
Gemüther anfeuern, und aus deren bloßem Schalle sie den Ausgang der nahen 
Schlacht ahnen; denn sie schrecken oder zagen, je nachdem der Schlachtgesang 
ertönt. Auch scheint derselbe weniger der Singstimmen als des Heldenmuths 
Einklang. Sie suchen vorzüglich rauhes Getön und gebrochenes Murmeln, 
mittelst zum Munde gehaltener Schilde, auf daß der abprallende Ton voller 
und kräftiger anschwelle. 
Arminius hatte nach Abzug der Römer und Marobod's Vertreibung 
durch sein Streben nach Königsgewalt den Freiheitssinn seiner Landsleute wider 
sich aufgebracht, und, indem er gegen bewaffneten Angriff mit wechselndem 
Glück kämpfte, fiel er durch Verrath seiner Verwandten. Unstreitig war er 
Deutschlands Befreier, der nicht wie andere Könige und Feldherren das römische 
Volk bei seinem Entstehen, sondern das Reich in seiner hochsten Blüthe an— 
focht, in Schlachten nicht immer glücklich, im Kriege unbesiegt. Siebenund⸗ 
dreißig Jahre des Lebens, zwölf der Heerführung hat er erfüllt; noch wird 
er bei den barbarischen Stämmen befungen; unbekannt in den 
Jahrbüchern der Griechen, als welche nur das Ihrige bewundern, bei den Römern 
nicht nach Verdienst gefeiert, da wir nur das Alte erheben, das Neue nicht 
beachten.
	        
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