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III. Aus der Sage Born.
115. Wie die Wodensmũhle entstand.
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1. In der Nãhe meines Heimatdorfes, eine kleine halbe Stunde
bergaufwärts, befand sich eine schmale Waldblöbe, die mit
ITrũümmern allerart übersãet war. Seitlich vom Laufe des Baches
lieb sich ein alter Mühlgraben erkennen, der gewöhnlich trocken
war und nur bei schweren Ungewittern und bei rascher Schnee-
schmelz Wasser führte. Niedrige brandgeschwärzte Mauerreste
zeigten, dab vorzeiten hier einmal ein Gebäude gestanden und
Menschen gehaust hatten, und ein runder halbversunkener Stein
mit einem viereckigen Loche in der Mitte lieb vermuten, dab das
Gebãude eine Mühle gewesen. Daher hieß denn auch diese Stätte
noch in meiner Kindheit die Wodensmũhle, obwobl seit Menschen-
gedenken daselbst nichts anderes gestanden als Trümmer und
Unkraut und auch die ältesten Leute sich nicht erinnerten, dab
es dort je einé Mühle und einen Müller gegeben habe.
2. Nur einer machte hiervon eine Ausnahme; das war mein
Großvater. Der war voll alter Geschichten und Mären, — weib
nicht, wo er sie gehört und aufgelesen — war ein nachdenklicher
alter Mann, und was man ihn auch fragte, er wubte Bescheid.
Dann erzählte er, wie einst alles gewesen, und kannte und nannte
es bei Namen, Ort und Zeit, und das tat er in seiner eigenen,
wunderlichen Weise, die einem jeden zu Herzen ging.
3. Nach der VWodensmühle hinauf führte ein alter, krummer
und lehmiger Hohlweg, der schon lange nicht mehr zum Fahren
benutet wurde. Abfliebendes Regenwasser hafte im Laufe unge-
zãhlter Jahre die Geleise zu breiten, rissigen Rinnen ausgetietft,
die Böschungen waren zerweicht und abgerutscht und mit wüstem
Kräuterich und Brombeergestrüpp übersponnen. Den Weg hat
mich der Grobvater oft geführt; denn er hatte eine seltsame Vor-
liebe für jene abgelegene Trümmerstätte droben im Walde; er
sagte, wenn er dort oben säbe auf dem alten, versunkenen Mũhbl-
stein und recht andächtig gestimmt wäre und gut aufhorehte, dann
beginne der Stein zu reden und erzähle von den Zeiten, wo er
sich, vom rauschenden Mühlrad getrieben, noch lustig im RKreise
gedreht, wie ein jungfrisch Mädle auf dem Tanzboden, und das
Korn gemahlen hätte von Menschen, die vor vielen, vielen hundert
Jahren gelebt, geschafft, gotanzt und geweint hätten und jetzt alle
Staub und Asche wären. Er sah mich dabei mit seinen alten,