Full text: [Tertia, [Schülerband]] (Tertia, [Schülerband])

Simrock: Aus „Gudrun“. 1 
Doch sah man ihre Locken zerzaust vom Märzenwinde; 
Ob es regnet' oder schneite, weh war dem armen Ingesinde. 
Herwig, der edle, ihnen guten Morgen bot; 
Wohl wär' den Heimatlosen ein guter Morgen not. 
Von ihrer bösen Meisterin hörten sie nur Schelten; 
Gulen Morgen! guten Wend! kam den minniglichen Maiden selten. 
10. LVaßt es euch nicht verdrießen und nehmet unser Gold, 
Guter Spangen viere; das sei euer Sold, 
Daß ihr, schoͤne Frauen, uns Kunde möget sagen. 
Wir geben fie euch gerne, daß ihr Bescheld uns gebt auf unsre Fragen.“ — 
1 Gott lass' euch eirẽ Spangen selber wohlgedeihn! 
Wir nehmen nichts zu Lohne,“ sprach das Mägdelein; 
Fraget, was ihr wollet, wir müssen schnell von hinnen; 
Suh' man uns mit euch reden, das waͤr' mir leid von Herzen und von Sinnen. 
1 „Wem ist dieses Erbe und dieses reiche Land, 
Dazu die guten Burgen? Wie ist er genannt, 
Der euch in schlechten Kleidern läßt so schmachvoll dienen? 
Wollt' er auf Ehre halten, euch anders zu behandeln würd' ihm ziemen.“ 
13 Sie sprach: „Der Fürsten einer heißet Hartmut; 
Dem dienen weite Lande und feste Burgen gut; 
Der andre heißet Ludwig von Normandie, der reiche. 
Ihnen dienen viel der Helden; sie sitzen ruhmvoll hier in ihrem Reiche.“ 
Da sprach der König Herwig: Könnt ihr uns denn sagen, 
Vor wem die Kühnen so große Sorge tragen, 
Daß sie so viel Helden halten zu allen Zeiten? 
Zög' ich damit zu Felde, ich möchte wohl ein Königsland erstreiken.“ — 
15. Das können wir nicht sagen,“ sprachen die Frau'n, 
Wir wissen nicht, wohin sie nach andern Ländern schaun. 
Ein Land liegt in der Weite, das heißet Hegelingen; 
Sie fürchten zu allen Zeiten, das möcht' hnen grimme Feinde bringen.“ 
16. Oftmals blickte Herwig die Jungfrau forschend an; 
Sie schien so schoͤn demn Degen und auch so wohlgethan, 
Daß es ihn im Herzen oft zum Seufzen brachte. 
Sie glich so sehr der einen, an die er oft gar inniglich gedachte. 
17. Da sprach von Ortland wieder der König Ortwein: 
„Ich frag' euch Mädchen beide: Sollt' euch bekannt nicht sein, 
Emn fremdes Ingesinde, das kam zu diesem Land? 
Eine war darunter, die wurde Gudrun genannt.“ 
18 Sie sprach: „Die ihr da suchet, die hab' ich wohl gesehn 
In großen Mühsalen, das will ich euch gestehn.“ 
Sie war der Mädchen eine, die da Hartmut brachte; 
Ja, Gudrun war sie selber, daher sie dieser Dinge wohl gedachte. 
19. Da sprach der König Herwig: „Nun seht, Herr Ortewein! 
Sollt Eure Schwester Gudrun noch am Leben sein 
In irgend einem Lande von allen Erdenreichen, 
So schwür' ich, diese wär' es; niemals sah ich ihr ein Weib so gleichen.“ 
20. Sie sprach: „Wie Ihr auch heißet, Ihr seid untadelig. 
Einem, den ich kannte, gleicht Ihr seltsamlich; 
Er war geheißen Herwig und war von Seelanden. 
Wenn der Held noͤch lebte, so löst' er uns aus diesen strengen Banden.“ 
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