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Übergang zur Neuzeit.
1. Der Humanismus und die Entdeckungen.
§ 87. Der Humanismus. Der Humanismus hat in Italien
drei große Vorläufer an Dante (+ 1321), Petrarca und Boccaccio. Er
war von Anfang an nicht gegen die Kirche gerichtet, sondern wollte zu¬
erst eine Vertiefung in die antiken Geistesschätze im Sinne christlicher
Weltanschauung und eine. Befreiung von dem Zwange des scholastischen
Formalismus. So ist es zu erklären, daß sich selbst Papst Nikolaus V.
für ihn begeisterte. Allmählich aber stellt er sich bewußt in Gegensatz
zur mittelalterlichen Weltanschauung; was bisher dem Menschen
als wertvoll bezeichnet worden ist, wird von ihm verworfen und das
Gegenteil als das allein Wertvolle gepriesen. Wurde bisher gelehrt, daß
Demut, schweigender Gehorsam, Entsagung, Verachtung der Welt und
ihrer Freuden das Höchste und Beste sei, so heißt es jetzt: seiner Natur
leben, seinen Willen durchsetzen, sich auf die Kraft und Stärke seines
Verstandes verlassen, sie an der uns umgebenden Welt erproben, Bildung
erwerben, sich dem feinen Lebensgenuß hingeben; das allein ist des
Menschen wahrhaft würdig, ist das Menschliche, das Humane.
Der Humanismus ergreift alle Stände, geistliche und weltliche,
Fürsten, Ritter und Bürger, und alle Gebiete des Lebens, befreit
die geistige Arbeit von der Beschränkung auf die im Mittelalter allein
gepflegten Gebiete der Theologie und Scholastik und eröffnet ihr neue
Bahnen; er schafft die modernen Wissenschaften, ergreift die bil¬
denden Künste und leitet sie zur Antike. (Über die Kunst der Renais¬
sance vgl. den kunstgeschichtlichen Anhang.)
Er stellt neue sittliche Ideale auf, zeitigt aber auch, zumal in
Italien, eine Bedenken erregende Verwilderung der Sitten.
Er gestaltet die gesellschaftlichen Verhältnisse um, indem in
der nächsten Umgebung der Großen der Mensch von Talent, der
Künstler, der Humanist, einen vielbeneideten Platz erhält, gleichviel
welchen gesellschaftlichen Kreisen er entsprossen ist. Daher ist auch das
Interesse der Gesellschaft, besonders in Italien, künstlerischen und wissen¬
schaftlichen Fragen zugewendet.
Er wandelt die Lehre vom Staate und arbeitet der Staatsform des
Absolutismus vor.
Vorbilder der Humanisten sind zunächst die lateinischen Schriftsteller,
später auch die griechischen, namentlich seit der Flucht der Gelehrten aus
Konstantinopel (1453). Keiner aber gewinnt stärkeren Einfluß als Plato,
dessen Werke in der Mitte des 15. Jahrhunderts bekannt werden („plato¬
nische Akademie" in Florenz).
Die Volkssprache wird geringgeschätzt, nur im Latein, und zwar
nicht dem mittelalterlichen, sondern dem klassischen, glaubt man sich aus¬
drücken zu dürfen. Man redet, schreibt, dichtet lateinisch, versucht sich
auch im Griechischen.