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stellung und Ordnung der europäischen Staatenverhältnisse zu berathschla-
gen. Napo leou aber, der Manu der That, dessen Sache langes Berathen
nie war, faßte, als er die Mißgriffe erfuhr, welche Ludwig XVIII. zum
Beginne seiner Regierung sich zu Schulden kommen ließ, einen kühnen
Entschluß. Am 1. März 1815 landete der entthronte Kaiser plötzlich mit
1200 Manu Truppen im südlichen Frankreich.
. Wie durch einen Zauberschlag sammelte ver bloße Klang seines
Namens eine Armee um ihn. Sein Vordringen war ein Triumphzug,
von Stunde zu Stunde wuchs seine Heeresmacht. Der bourbonische König
mußte flüchten; Napoleon zog in Paris ohne Kampf als Sieger ein,
genehmigte die Verfassung und rüstete sich mit 170,000 Manu gegen die
Verbündeten, die ihn jetzt auf Talleyrand's Antrag in die Acht erklär¬
ten und mit mächtigen Streitkräften an die Grenze Frankreichs eilten.
-Napoleon versuchte in Belgien, wo der Herzog von Wellington
mit einer britischen und Marschall Blücher mit einer preußischen Armee
standen, durchzubrechen und mit einem Schlage sein altes Kriegsglück an
sich zu ziehen. Er schlug das preußische Heer bei Ligny, ungeachtet des
tapfersten Widerstandes. An diesem Tage fiel der heldenmüthige Herzog
Wilhelm von Braunschweig; Blücher, schon unter seinem verwundeten
Rosse liegend, wurde wie durch ein Wunder gerettet! Er zog sich mit
dein geschlagenen Heere zurück, gab aber, so müde und erschüttert es war,
den Kampf nicht auf, sondern suchte ans Umwegen in Eilmärschen das
englische Heer zu erreichen, welches unweit Brüssel stand.
Am 18. Juni, zwei Tage nach der Schlacht bei Ligny, griff Napo¬
leon die Briten bei Waterloo an. Schon wankten nach einem mör¬
derischen Treffen die britischen Reihen, als Blücher mit seinen Preußen
eben im entscheidenden Augenblicke auf dem Schlachtfelde erschien und bei
dem Meierhofe Belle Alliance das Treffen erneuerte. Wie einst die
Schlacht von Marengo, für Napoleon schon verloren, durch das rechtzeitige
Eintreffen des General Desaip zu einem glänzenden Sieg geführt waro,
so sollte Napoleon zu seinem Verderben hier .den umgekehrten Fall erleben.
Schon Sieger, ward das Glück der Schlacht ihm durch Blücher's uner¬
wartetes Erscheinen entrissen. Vergebens stellte er selbst sich an die Spitze
der Garden; die Verwirrung des von zwei Seiten plötzlich angegriffenen
französischen Heeres ward allgemein; schon hörte man den Ruf: „Rette,
wer sich retten form!" Nur Napoleon's Garden standen unerschütter¬
lich. „Die alte Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht!" tönte es wie
aus einem Munde aus ihren Reihen, und sie besiegelten ihr Wort durch
den ehrenvollen Tod auf dem Schlachtfelde. Nicht Einer wollte übrig
bleiben.
Napoleon, von den Preußen verfolgt, entwich mit genauer Noth
und legte, in Paris angekommen, die Krone zu Gunsten seines Sohnes
Napoleon nieder, nachdem er sie 100 Tage lang zum zweiten Male
getragen hatte. Unschlüssig, welchen Ausweg er ergreifen sollte, da ihm
Oeser's Weltgeschichte. III. 5. Ausl. 29