Full text: Vom Regierungsantritt Friedrichs des Großen bis zur Gegenwart (Teil 6)

Zweiter Zeitraum. 
Die französische Revolution und ihre Folgen für 
Europa (1789—1815). 
§ 6. Die französische Revolution bis zur Abschaffung des Königtums 
(1789—1792). 
Frankreich unter Ludwig XVI. und die Ursachen der Revolution. Durch die Ludwig xvl 
Mißwirtschaft unter Ludwig XV., dessen Verschwendung die seines Vorgängers 1774~im- 
noch überbot, und durch die kostspieligen beiden großen Kriege, in denen Frankreich 
seinen Kriegsruhm und sein bestes Kolonialgebiet einbüßte, waren die Finanzen 
derart zerrüttet worden, daß ihre Gesundung die vornehmste Aufgabe der neuen 
Regierung hätte sein müssen. Ludwig XVI., der sittenrein und von den besten Ab¬ 
sichten beseelt war, versuchte auch durch die Ernennung tüchtiger Minister wie 
Turgot und später Necker eine Besserung herbeizuführen. Von ihren Vorschlägen, 
die eine völlige Umgestaltung der alten Regierungsweise, des ancien regime, be¬ 
zweckten, gelangten nur die Gleichstellung der Protestanten und die Einschrän¬ 
kung der Willkürjustiz (lettres de cachet) zur Durchführung; im übrigen blieb es 
bei der verschwenderischen Hofhaltung, die die junge Königin Maria Antoinette, 
die gutmütige, aber leichtlebige Tochter Maria Theresias, nicht einzuschränken ver¬ 
suchte, und so stieg trotz der Bemühungen Neckers die Schuldenlast immer höher. 
Sein Nachfolger Calonne sah sich schließlich genötigt, der 1787 einberufenen No- 
tabelnversammlung (Hochadel, hohe Geistlichkeit und Vertreter der größten 
Städte) die Einführung der Besteuerung der privilegierten Stände als letztes 
Rettungsmittel vorzuschlagen. Als diese gerechte Forderung von den eigensüchtigen 
und hochmütigen beiden ersten „privilegierten" Ständen abgelehnt wurde, entschloß 
sich der König, die feit 1614 nicht mehr einberufenen Reichs stände (Etats generaux) Einberufung der 
zusammentreten zu lassen und billigte auf den Rat des wieder zum Finanzminister Reichsstände. 
berufenen Necker dem dritten Stande die doppelte Anzahl von Vertretern (600) 
zu, beließ es allerdings bei der Abstimmung nach Ständen, womit den beiden ersten 
Ständen das Übergewicht blieb. Eine leidenschaftliche Erregung bemächtigte sich jetzt 
des ganzen Volkes: nicht der allgemeine Notstand, den eine Mißernte im Jahre 1788 
noch steigerte, nicht die trostlose Lage der Landwirtschaft, nicht die Anklagen 
gegen den verschwenderischen Hos und die seit dem „Halsbandprozesse" noch mehr 
verhaßte Königin bildeten den Hauptgegenstand der Erörterungen, sondern einzig 
und allein die Frage, ob man es länger ertragen solle, daß der dritte Stand, der 
24 Millionen Franzosen umfasse, gegenüber den 300 000 Köpfen, die den ersten und 
zweiten Stand ausmachten, ohne eigentlichen Einfluß auf die Geschicke der Nation, 
d. h. ohne Anteil an der Regierung, bleibe'). 
1) Der Abbs Sieyös, ein Schüler Rousseaus, hatte diese Frage in der ungeheures 
Aufsehen erregenden Flugschrift „Qu’est-ce que le tiers etat ?" aufgeworfen und wurde 
dadurch der Pfadfinder auf dem Wege zur Revolution.
	        
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