Vierter Zeitraum.
Die Entwicklung der heutigen Großmächte von 1850
bis zur Gegenwart.
§ 21. Begründung -es zweiten Kaiserreichs und Erneuerung der
französischen Vorherrschaft in Europa.
1. Die zweite Republik und Napoleons Staatsstreiche. Mit der
Zunahme des Wohlstandes in Frankreich wuchs die Begeisterung für
Napoleon, der, wie einst sein Oheirn, als Friedebringer nach der Revo¬
lution erschien. So konnte der Präsident der Republik es wagen, seine
geheimen Pläne immer offener zu verfolgen. Am 2. Dezember 1851, Der Staatsstreich
dem Glückstage Napoleons I., überraschte sein Neffe, nachdem er gegen tiom2-xn-mu
100 seiner einflußreichsten Gegner nachts hatte verhaften lassen, die
Pariser mit einem Dekrete, das dem Volke die Frage vorlegte, ob er
abtreten solle, oder ob es ihm die zur Durchführung seiner „Mission"
nötigen Machtmittel, vor allem die zehnjährige Dauer der Präsi¬
dentschaft, gewähren wolle. Einige Barrikadenkämpfe wurden schnell
niedergeworfen, Tausende nach Algier und Cayenne deportiert und
eine große Anzahl von mißliebigen Abgeordneten verbannt (darunter
Thiers und Viktor Hugo). Noch im Dezember bewilligte das ruhe¬
bedürftige Volk durch ein „Plebiszit" mit erdrückender Mehrheit
(iy2 Millionen gegen eine halbe) die Forderungen des Präsidenten.
Mit großem Geschick wußte der „Prinz-Präsident" die wichtigsten
Stände für seine weiteren Pläne zu gewinnen: die Arbeiter durch
außerordentliche Bewilligungen für große Bauten, das Heer durch
Auszeichnungen, die an die napoleonische Zeit erinnerten, die Geist¬
lichkeit durch Schmeichelei und strenge Durchführung ihrer Forderungen.
Als er jetzt durch ein neues Plebiszit die „Wiederherstellung des Kaiser¬
tums" zur Frage stellte, antwortete das Volk mit noch größerer Mehrheit
als beim ersten Staatsstreiche mit „Ja", und am 2. XII. 1852 nahm er
als Napoleon III. den Kaisertitel an. Aus der zögernden Anerkennung Die Wiederher-
der Großmächte, mehr noch aus der Ablehnung seiner Heiratsanträge
durch die alten Dynastien') entnahm Napoleon, daß man ihm und seiner 2.m isss.
1) Er verheiratete sich im Januar 1853 mit der spanischen Gräfin Eugenia de
Montijo; aus dieser Ehe entsproß 1856 der vermeintliche Thronfolger Ludwig Napo¬
leon (t 1878 im Kampfe gegen die Zulus).