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eine zweifache: von Süden nach Norden, durch die Richtung der Moldau
und der mit ihr zusammengeflossenen Elbe bezeichnet, und von Westen nach
Osten einerseits, von Osten nach Westen andererseits, — dort durch Beraun
und Eger, hier durch obere Elbe und Jser bezeichnet. Der tiefste Punkt
des gewaltigen Terrassenkessels ist aber nicht die räumliche Mitte, nicht
des Landes Hauptstadt, sondern die nordwestliche Spitze im Leitmeritzer
Kreise, wo nach der im Süden vorangegangenen Vereinigung des Elb¬
wassers mit Jser und Moldau die Eger in die Elbe tritt, die aber darauf
bald das vorlagernde Sandsteingebirge, das Sachsen von Böhmen scheidet,
durchbricht und ihre böhmischen Gewässer dem nördlichen Deutschland zu-
sührt. Diese physikalische Mitte des Böhmerlandes hat nur 321 Pariser
Fuß über der Meeresfläche, • während Leitmeritz noch 406, Prag aber
600 Fuß absolute Höhe hat.
Unsere geographischen Lehrbücher pflegten Böhmen als einen großen
Kessel, hermetisch verschlossen durch einen ringsum laufenden G e b i r g s -
wall, darzustellen; diese Darstellung und Vorstellung war aber keines¬
wegs entsprechend. Das Böhmerwaldgebirge ist kein Wall, sondern ein
Mannigfaltiges von Gebirgsketten und Gebirgsmassen, die zwar meist
gleichlaufend streichen, oft aber auch ganz isolirt dastehen, und — was die
Hauptsache ist — des gemeinsamen Kammes entbehren. Mitten in
dem Hauptzuge des Böhmerwaldes, da, wo der Weiße Regen entspringt,
ist eine drei Meilen weite Lücke, theilweise durch einige kleinere Bergmassen
ausgefüllt, aber auch in Tiefebenen ein Thor nach Bayern öffnend. Ebenso
sinkt auch auf dem böhmisch-mährischen Gebirgszuge die Wasserscheide des
Donau- und Elbgebietes öfters bis zur Tiefebene hinab, und man kann
von Böhmen nach Mähren wandern, ohne einen Berg übersteigen zu müssen.
Die niedrigste Stelle in dem ganzen böhmischen Gebirgskranze ist die, wo
sich das mährische Gebirge von den Sudeten scheidet; die bekannte Berg¬
linie, welche den Norden Europa's vom Süden trennt, fällt hier noch unter
600 Fuß hinab. Im Uebrigen ist aber Böhmen auf höchst merkwürdige
Weise von seinen Nachbarländern abgeschlossen und steht mit seinem gro߬
artigen Bergsaume da wie eine Insel aus dem Fe st lande.
Blicken wir nun in das Innere, so zeigt sich die bemerkenswerthe
Eigenheit, daß fast jeder Kreis wieder ein eigenes Becken, eine eigene Ter¬
rasse für sich bildet und die Gestalt des Ganzen im Kleinen wiederholt.
Randgebirge, Hoch- und Tiefebenen, die wieder von Hügelreihen durch¬
schnitten sind, enge Schluchten mit weiten Thälern abwechselnd — eine
Mannigfaltigkeit der Formen, wie man sie sich im sächsischen Flachlande
und märkischen Sande nicht träumen läßt. Welche Gegensätze, und wie
nah oft zusammengerückt! Hier begegnet dem Auge des Reisenden eine
großartig wilde Natur von Granitblöcken, dürren Haideflächen und schwar¬
zem Moorgrunde; aus vormaligem Seeboden und uraltem Bruche treten
so eben erst einige Wiesen hervor; die Ackerfelder mit ihren von Granit¬
trümmern gebildeten Zäunen sind eben erst den: widerstrebenden Felsboden