300 III. Länder- und Völkerkunde. A. Europa. 
in blauen Eisrinnen. Oft versenkt sich ein solcher Bach in eine tiefere 
Eisschicht und rinnt unter der sichtbaren Oberfläche, nur dem Gehöre 
vernehmbar, hin; man wähnt jeden Augenblick an das Ufer eines 
Eisbaches zu kommen und hört ihn dann wieder Plötzlich hinter sich. 
Dieses Wasser, Gletschermilch genannt, ist sehr klar und kalt, den Dur¬ 
stigen wohl sehr labend, aber leicht Erkältung bringend. Das Wasser, 
welches dem unteren Ende des Gletschers entströmt, das Keeswasser, 
ist grau und trüb, besonders Nachmittags, wird jedoch von den Um¬ 
wohnern dem Quellwasser vorgezogen. Wandert man über einen Glet¬ 
scher, so vernimmt man bisweilen einen unterirdischen Donner von 
einem eigenen, fast metallartigen Klange, begleitet von einer Erschütte¬ 
rung, die Folge eines neuen Spaltenwurfs; die neue Spalte erscheint 
als kaum bemerkbarer Riß. 
Endlich bringt der Schutt und das Geröll an und auf dem Glet¬ 
scher manche seltsame Erscheinungen hervor. Durch die Lawinen, welche 
den beiderseitigen Höhen entstürzen, werden den Gletschern auch Schutt¬ 
massen zugeführt, und da die Gletscher auch aus ihren Eisbergen her¬ 
ausrücken zwischen grünen und schneelosen Seitenwänden, so führen da¬ 
selbst im Frühjahre die -Lwundlawinen noch mehr Schutt herab. Der 
Schnee aber schmilzt von solchen Trümmerhaufen bald hinweg, und so 
sind die Gletscher sehr oft ans ihren beiderseitigen Gestaden mit einem 
Walle von Steintrümmern bedeckt, welche das Eis oft so verhüllen, daß 
man gar nicht mehr auf Eis zu wandern glaubt, bis sich plötzlich 
mitten zwischen den grauen Steinhaufen eine tiefe blaue Grotte öffnet, 
oder wo die Steine selbst nicht haufenweis liegen, färben sie in schief¬ 
rigen Gebirgen die Oberfläche des Eises so grau, daß man cs nicht 
für Eis hält. Treffen zwei Gletscher aus zwei Thälern, welche sich 
vereinigen, zusammen, so verschmelzen sie nach und nach zu einem gro¬ 
ßen Eisstrome; so wie aber zwei Ströme nach ihrer Vereinigung noch 
auf einer Strecke hin sichtbar sind durch eine Grenzlinie, wie durch 
ihre Färbung, so bezeichnen hier noch weit hinab jene Trümmerhau¬ 
fenlinien auf der Mitte des großen Gletschers die Grenze jener beiden 
Gletscher, oder verkünden, daß der Gletscher aus zwei Armen zu 
einem zusammen geflossen ist. Diese Trümmerhaufen heißen in der 
Schweiz Gufer, Guserlinien, in den deutschen Alpen führen sie 
den allgemeinen Namen Mure*) (murus), wie alle Trümmeranhäu¬ 
fungen durch Bergstürze und Fluthen. Auch am unteren Ende des 
Gletschers umwallet denselben, wenn es die Umstände erlauben, eine 
Mure, welche jedoch mehr auf festem Boden, als auf dem Gletscher selbst 
liegt. Dieser Trümmerhaufe entsteht aus dem Vorrücken der Gletscher, 
indem sie Alles, was ihnen im Wege liegt, vor sich herschieben, selbst 
entgegenstehende Felsen zertrünimern und sie der Mure beifügen. Wird 
ein Gletscher nicht durch zu mächtige Felsenschranken aufgehalten, ^ so 
dringt er schneller und weiter vor, zieht sich aber auch ebenso leicht 
:) Gewöhnlich Moräne.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.