184
kannte.“ Der König von Preußen, besorgend, daß noch mehr Verletzendes
kommen möchte, unterbrach ihn schnell u der Außerung „Sie wissen nicht,
mit wem Sie reden; der Herr, welchein Sie so unbescheiden antworten, s
Seine Majestät der Kaiser von Rußland. Enen Augenblick stutzend, dann
von Ehrfurcht ergriffen, sank der belroffene Mann auf seine Kniee und bat,
mit seiner Unwissenheit sich entschuldigend, tausendmal um Verzeihung As
unun aber der Kaiser, mit freundlicher Güle ihn beruhigend, fragte: „Wissen
Sie auch wohl, wer dieser hohe Herr ist? Es ist Seine Majestät der König
von Preußen!“ da kam doch dem ehrlichen, biederen Seemann diese selt⸗
same Begegnung zu abenteuerlich vor, als daß er sie nicht für eine lustige
Posse hätte halten sollen. Sein Haupt wieden bedeckend, wandte er sich in
seiner kecken Weise knapp um mit den spöttischen Worten „Nun, ihr beiden
seid mir auch die rechten! Der eine will ein Kaiser, der andere ein König
sein, und das hier in Memel mitten im Frieden Bindel das emem Andern
auf die Nase, mir nicht; so streiche ich meine Segel nicht!“ Der Kaiser
und der König lachten herzlich. Wer aber beschreibt das Erstaunen und die
Verlegenheit des enttäuschten Seemanns, als er gleich nachher vom Kaiser
zur Tafel eingeladen und mit der dem unvergeßlichen Herrn im höchsten
Grade eigenthuͤmlichen freundlichen Huld aufgenommen wuͤrde!
274. Die Königin Luise und ihr Lehrer.
Eylert.
20 Ein schon ziemlich bejahrter Lehrer, welcher der verstorbenen, allgemein
verehrten Königin Luise von Preußen in ihrer Jugend zu Darmstadt im
Schönschreiben Unterricht ertheilt hatte, faßte den Entschluß, nach Berlin zu
reisen, um die Freude zu haben, seine Schülerin vor seinem Ende noch einmal
zu sehen. Er kam in Berlin an und ließ sich bei der Königin als einen
* alten Bekannten aus Darmstadt melden. Die Fürstin ließ ihn sogleich vor
sich kommen und freute sich sehr, ihn wiederzusehen. Sie unterhielt sich einige
Stunden mit ihm, und auch der König, der dazu kam, nahm Antheil an
dem Gespräche. Die Königin fragte ihn endlich, ob er denn kein Anliegen
habe, indem sie sich nicht vorstellen könne, daß er so ohne allen besonderen
o Zweck die weite Reise unternommen habe. Allein er versicherte, er brauche
nichts, sondern habe sein gutes Auskommen, und der einzige Beweggrund
seiner Reise sei gewesen, seine ehemalige Schülerin noch einmal wiederzufehen.
Der König machte ihm hierauf den Vorschlag, daß er die Merkwürdigkellen
Berlins besehen und um ein Uhr sich wieder einfinden und zu Mittag mit
ihm essen sollte. Der alte Mann wollte aber das Auerbieten nicht annehmen
und entschuldigte sich Allein der König wiederholte es ihm in vollem Ernste
und sagte ihm noch, sie seien ganz allein, er solle nur kommen. Der Lehrer
fand sich auch wirklich zur bestimmten Zeit ein und aß mit an des Königs
Tafel. Als sie aufstanden, übergab ihm die Königin ihr mit Edelsteinen
Neingefaßtes Bildnis und sagte zu ihm „Nehmen Sie, mein lieber, alter
Lehrer, diese Kleinigkeit zum Andenken von Ihrer ehemaligen Schülerin, die
sich recht herzlich freut, hrem Lehrer noch einmal danken zu können!“ Der
alte Mann, im höchsten Grade überrascht und gerührt, konnte keine Silbe