Full text: Geschichte des preußischen Vaterlandes

Kirchliche und politische Aufregung. 455 
zu verwirren und zu trüben. Friedrich Wilhelm's ernstes Bestreben, die 
christliche Religion als wesentlichste Grundlage der allgemeinen Volksbildung 
neu zu befestigen, sowie seine Absicht, in der evangelischen Kirche selbst auf 
dem Grunde eines tieferen, lebendigen Glaubens eine kräftige Entwickelung 
anzubahnen, gaben zu falschen Deutungen und unbegründeten Befürchtungen 
Anlaß, als sei es dabei auf eine Beschränkung der Glaubensfreiheit abgesehen. 
Im Widersprüche gegen die strenggläubige Richtung des Kirchenregimentes 
traten in mehreren Provinzen sogenannte„Lichtfreunde" auf, welche vorgaben, 
das Christenthum nach den Forderungen des Zeitgeistes zu vereinfachen, und 
zu diesem Zwecke „freie Gemeinden" gründeten. 
Gleichzeitig gingen auf dem Gebiete der katholischen Kirche ähnliche 
Bewegungen vor. Ein entlassener katholischer Kaplan, Johannes Ron ge 
in Schlesien, machte den Versuch, eine sogenannte deutsch-katholische oder 
christ-katholische Nationalkirche zu gründen, welche freilich von den eigent¬ 
lichen christlichen Glaubenslehren wenig beibehielt. Obwohl sich der neue 
„Reformator" sehr bald als ein unbedeutender hohler Mensch erwies, so fand 
seine Sache doch eine Zeit lang vielfachen Anklang. Die sich bildenden christ- 
katholischen Gemeinden aber wurden ebenso wie die erwähnten „freien Ge¬ 
meinden" der Lichtfreunde vorzüglich als Mittelpunkte einer gefährlichen 
Aufregung in den unteren Volksklassen benutzt und halsen die herannahenden 
Stürme in Deutschland vorbereiten. 
So wurde von mehreren Seiten zugleich der Same der Unzufriedenheit 
und öffentlichen Zwiespaltes ausgesäet. Die meisten Führer der sogenannten 
liberalen Partei waren weit davon entfernt, eine wirkliche Revolution in 
Preußen herbeizuwünschen, aber sie beachteten nicht, wie die von ihnen beför¬ 
derte Erregung des Volkes es verwegenen Geistern möglich machte, im Stillen 
schlimmere revolutionäre Zwecke zu verfolgen. 
54. Negierung Friedrich Wilhelm's IV. seit dem März- 
aufstande 1848. 
Preußen und die Revolution. Als im Februar 1848 die überra¬ 
schende Kunde aus Frankreich erscholl, daß Ludwig Philipp vom Throne ge¬ 
stoßen und durch einen kühnen Handstreich die Republik eingeführt sei, als 
hierauf in Italien, in der Schweiz und in einem Theile von Deutschland die 
revolutionäre Partei sich mächtig erhob, da begannen auch in Preußen alle 
Hoffnungen und Bestrebungen der liberalen Partei sich neu zu beleben und 
im ganzen Lande entstand ein mächtig erregtes politisches Treiben. Niemand 
aber wollte glauben, daß es auch bei uns zu einem wirklichen Aufstande kom¬ 
men könne, weil Alles, was andere Völker durch die blutigen Waffen der 
Revolutionen zu erkämpfen suchten, in Preußen auf dem segensreicheren Wege 
friedlicher Reform theils schon erreicht, theils hoffnungsvoll angebahnt war. 
Seit Jahrhunderten durfte Preußen stolz sein auf eine fast ununterbrochene 
Reihe von Fürsten, welche des Landes Ehre, Größe und Wohlstand als den 
höchsten Leitstern ihres Strebend angesehen, seit Jahrhunderten war kein 
Staat in so unaufhörlicher Entwickelung vorgeschritten, nicht nur durch die 
Erweiterung seiner Grenzen, sondern vor Allem durch das Wachsthum der
	        
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