584 Gründung des Norddeutschen Bundes.
welche Deutschland dem von seinem Volke ersehnten Ziele auf Wegen zufübrt.
die wir nicht wählen oder voraussehen. Im Vertrauen auf diese Führung
werden wir jenes Ziel um so früher erreichen, je klarer wir die Ursachen
welche uns und unsere Vorfahren von demselben entsernt haben im Rück¬
blicke auf die Geschichte Deutschlands erkennen.
Einst mächtig, groß und geehrt, weil einig und von starken Händen ge¬
leitet, sank das Deutsche Reich nicht ohne Mitschuld von Haupt und Gliedern
rn Zerrissenheit und Ohnmacht. Des Gewichtes im Rathe Europa's, des
Einflusses auf die eigenen Geschicke beraubt, ward Deutschland zur Wahl¬
statt der Kämpfe fremder Mächte, für welche er das Blut seiner Kinder
die Schlachtfelder und die Kampfpreise hergab.
Niemals aber hat die Sehnsucht des deutschen Volkes nach seinen ver¬
lorenen Gütern aufgehört, und die Geschichte unserer Zeit ist erfüllt von den
Bestrebungen, Deutschland und dem Deutschen Volke die Grötze seiner Ver¬
gangenheit wieder zu erringen. 1
Wenn diese Bestrebungen bisher nicht zum Ziele geführt, wenn sie die
Zerrissenheit, anstatt sie zu heilen, nur gesteigert haben, well man sich durch
Hoffnungen oder Erinnerungen über den Werth der Gegenwart, durch Ideale
über die Bedeutung der Thatsachen täuschen ließ, so erkennen wir daraus die
Nothwendigkeit, die Einigung des Deutschen Volkes an der Hand der That¬
sachen zu suchen und nicht wieder das Erreichbare dem Wünschenswertem
zu opfern.
Wie die Richtung des deutschen Geistes im Allgemeinen dem Frieden
und seinen Arbeiten zugewandt ist, so wird die Bundesgenossenschaft der
Deutschen Staaten wesentlich einen defensiven Charakter tragen. Keine feind¬
liche Tendenz gegen unsere Nachbarn, kein Streben nach Eroberung hat die
deutsche Bewegung der letzten Jahrzehnte getragen, sondern lediglich das Be¬
dürfniß, den weiten Gebieten von den Alpen bis zum Meere die Grundbe¬
dingungen des staatlichen Gedeihens zu gewähren, welche ihnen der Ent¬
wickelungsgang früherer Jahrhunderte verkümmert hat. Nur zur Abwehr,
nicht zum Angriff einigen sich die deutschen Stämme. Von uns, von unserer
Einigkeit, von unserer Vaterlandsliebe hängt es in diesem Augenblicke ab,
dem gestimmten Deutschland die Bürgschaften einer Zukunft zu sichern, in
welcher es, frei von der Gefahr, wieder in Zerrissenheit und Ohnmacht zu
verfallen, nach eigener Selbstbestimmung seine verfassungsmäßige Entwicke¬
lung und seine Wohlfahrt Pflegen und in dem Rathe der Völker feinen
friedliebenden Beruf zu erfüllen vermag.
Möge durch unser gemeinsames Werk der Traum von Jahrhunderten,
das Sehnen und Ringen der jüngsten Geschlechter der Erfüllung entgegen-
geführt werden.
Der Segen Gottes aber, an welchem Alles gelegen ist, begleite und
fördere das vaterländische Werk!"
Das Vertrauen des Königs wurde durch die Haltung des Reichstages
gerechtfertigt: unter dem Entgegenkommen der Regierungen und der Volks¬
vertretung und Dank dem bedeutenden Einflüsse, welchen die Stimme des
Grafen Bismarck in fast allen Parteien gewonnen hatte, wurde die Ver-