Verhandlungen über einen deutschen Bund. 699
Der Kaiser stiftete an seinem Geburtstage (22. März) ein Verdienst¬
kreuz für Frauen und Jungsrauen, wie es in der Stistungs-
Urkunde heißt: „in Anerkennung der großartigen, opferfreudigen Thätig¬
keit, welche die Frauen und Jungfrauen des gesammten Deutschlands
dem Wohle der Kämpfenden und deren Angehörigen gewidmet und in der
Absicht, hervorragenden Verdieusten auf diesem segensreichen Felde durch ein
gemeinsames Zeichen die Dankbarkeit des Vaterlandes zu sichern."
64. Die Gründung des deutschen Kaiserreichs.
Inmitten des Kriegslaufs war als herrlichste Frucht der patriotischen
Erhebung die deutsche Einheit zur Vollendung gelangt. Das Gefühl der
Zusammengehörigkeit, welches durch gemeinsame Gefahr und durch gemein¬
sam erkämpfte Siege belebt worden, das Bewußtsein der Stellung, welche
Deutschland zum erster: Male seit Jahrhunderten durch seine Einigkeit er¬
rungen hatte, die Erkenntniß, daß nur durch Schöpfung dauernder Insti¬
tutionen das Vermächtnis dieser Zeit der Opfer und der Thaten gesichert
werden könne, hatten schneller und allgemeiner, als noch kurz vorher denk¬
bar erschien, das deutsche Volk und seine Fürsten mit der Ueberzeugung
erfüllt, daß es zwischen dem Süden und Norden eines festeren Bandes
bedürfe als der völkerrechtlichen Verträge. Diese Ueberzeugung führte bald
nach Ausbruch des Krieges zu Verhandlungen über den Beitritt der süd¬
deutschen Regierungen zum bisherigen Norddeutschen Bunde Behufs Be¬
gründung eines gemeinsamen deutschen Bundes. Die baierische Regierung
gab zuerst, und zwar bald nach der Schlacht bei Sedan den Wunsch zu er¬
kennen, über ein Versassungsbündniß sämmtlicher deutscher Staaten zu ver¬
handeln. Der Präsident des Bundeskanzler-Amtes Minister Delbrück
begab sich demzufolge nach München, um dort die Verhandlungen einzu¬
leiten. Nachdem inzwischen der Großherzog von Baden den einfachen Ein¬
tritt in den Norddeutschen Bund beantragt hatte, wurden die Verhandlungen
mit sämmtlichen süddeutschen Regierungen im Hauptquartiere zu V e r s a i ll e s
fortgeführt und gediehen im Laufe des November zum Abschlüsse von Ver¬
trägen mit allen süddeutschen Regierungen. Die Verträge beruheten durch¬
weg aus der Grundlage der Verfassung des Norddeutschen Bundes, nur
mit denjenigen Aenderungen, welche durch die Erweiterung des Bundes,
zumal durch den Eintritt größerer deutscher Staaten geboten waren.
Das Wesen der Bundesverfassung blieb dabei iu jeder Beziehung unberührt.
In einer außerordentlichen Session des Reichstages, welche zum 24. No¬
vember berufen war, wurden die Verträge zur Prüfung und Genehmigung
vorgelegt. Noch während der Berathungen trat jedoch eine neue wichtige
Thatsache hinzu, welche den abgeschlossenen Verträgen eine erhöhte Bedeu¬
tung verlieh. Der König Ludwig von Baiern hatte ein Schreiben
an den König Wilhelm gerichtet, durch welches er denselben bat, den
Titel eines deutschen Kaisers anzunehmen. Das Schreiben lautete:
„Nach dem Beitritt Süddeutschlands zu dem deutschen Verfassungs-
bündniß werden die Ew. Majestät übertragenen Präsidialrechte über alle
deutschen «Staaten sich erstrecken. Ich habe mich zu deren Vereinigung in