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der Pinta einen flachen, sandigen Strand im Mondschein leuchten; denn man
hatte sich dem Lande von der Seite bereits bis auf zwei Seemeilen genähert.
Ein Kanonenschuß verkündete die glückliche Entdeckung den beiden nach¬
folgenden Schiffen, und sowie es Tag wurde, sahen sie eine anmutig grüne
Insel vor sich liegen. Die Überfahrt von den kanarischen Inseln hatte
32 Tage gedauert. Entzückt und mit Freudentränen im Auge stimmte
Kolumbus den Lobgesang „le veum laudamus“ an und alle seine Gefährten
stimmten mit ein. Man umringte den noch vor kurzem geschmähten Führer und
brachte dem Helden seine Huldigung dar. Leider gönnte der glückliche Entdecker
dem Matrosen Rodrigo den verheißenen königlichen Lohn nicht; er erhob selbst
Anspruch auf die ausgesetzte Jahresrente, weil er in der Nacht zuvor das Licht
in der Ferne gesehen hatte, und erhielt später wirklich das Geld ausbezahlt.
Die Befehlshaber der Schiffe landeten nun mit bewaffneten Booten.
Unter fliegenden Fahnen, welche außer dem grünen Kreuze die Anfangsbuch¬
staben der katholischen Könige, F. und I., zeigten, stiegen sie ans Land und
warfen sich nieder um den Boden zu küssen. Dieses erste Eiland, welches
die Entdecker betraten, nannte Kolumbus San Salvador und weihte es da¬
durch zu einem Erstlingsopfer dem Heiland der Welt. Bei den Eingeborenen
hieß es Guanaham oder Guanahani. Sophus Rüge.
56. Maria von Burgund.
Die Tochter Karls des Kühnen, die Gemahlin des letzten Ritters auf
dem deutschen Kaiserthron, war durch große Herzensgüte, edlen Stolz, frommen
Sinn, festen Charakter und tiefe Bildung vor vielen ihrer Standesgenossen
ausgezeichnet. Sie las Sagen, Lieder und Geschichtsbücher, machte Fort¬
schritte in der Tonkunst, übte das Schachspiel, verstand aber auch das wildeste
Roß zu tummeln, wenn sie den Freuden der Jagd nachging.
Maria hatte das 16. Jahr erreicht, als Kaiser Friedrich III. mit ihrem
Vater in Trier zusammenkam um ihre Hand seinem Sohne Maximilian zu
sichern; allein die Unterhandlungen der Väter zerschlugen sich. Als nun
vier Jahre später Karl der Kühne in der Schlacht bei Nancy gefallen war,
versuchte der französische König Ludwig XI. das Herzogtum Burgund zu
nehmen um Maria zu einer Heirat mit dem Dauphin geneigter zu machen.
Aber sie zog Maximilian vor und dieser wurde noch im Jahre 1477 in
Gent mit ihr getraut. Eine ungeheure Pracht herrschte bei den Vermählungs¬
feierlichkeiten. Sämtliche Herren waren schwarz gekleidet und trugen reich¬
verzierte Heline, Barette und Mützen, Maximilian einen wertvollen silbernen
Harnisch. Ebenso reich und kostbar war Maria angetan. Sie trug ein
weißes, durch und durch gesticktes Gewand voll Damast, über demselben eine
Mantille von demselben Stoffe^ gefüttert mit Hermelin, einen Gürtel von
Gold, der mit den seltensten Edelsteinen besetzt war und von welchem eine
reiche Tasche herabhing. Ihr Haupt war mit der burgundischen Krone ge¬
ziert, in großen Locken hing das braune Haar aus den Nacken herab.
Die Schleppe des Kleides trugen zwei der vornehmsten Hofdamen. Wohl
Deutsches Lesebuch für bayer. höhere Töchterschulen. Bd. II. 3. Ausl. 6