§ 15. Der Sonderbnndkrieg. 101
in der Schweiz; doch widersetzte sich Süddeutschland, von
Oestreich unterstützt, dem Durchmarsch der Preußen, da¬
her der friedfertige König 1857 gegen Zusichernng von
Straflosigkeit an die realistischen Gefangenen auf das
angestammte Fürstenthum verzichtete. Die Entschädigung
von 2 Mill. Frcs., welche ihm zuerkannt wurde, wies er
zurück. — Seither entwickelte sich das Verfassungsleben
weiter, indem zuerst etliche 50 Kantonale Verfassungs¬
änderungen beliebt wurden, denen 1866 und 72 auch An¬
läufe zur Revision der Bundesverfassung folgten. Die
Kantonssouveränität sollte noch weiter beschränkt und na¬
mentlich die Militärordnung, die da und dort sehr im
Argen lag, der Bundesbehörde übertragen werden. Dann
wünschte man allen Schweizern unentgeltlichen Unterricht
zu ermöglichen, die Eheschließung zu erleichtern, schon
auch die Todesstrafe abzuschaffen. Die tolle Steigerung
der Freiheit aber, welche die Züricher Demokratie in dem
sog. Referendum verlangte, daß nämlich alle Gesetze
der Bnudesvertretung wieder von den einzelnen Bürgern
geprüft und durch Abstimmung in den Gemeinden ange¬
nommen oder verworfen werden sollen, wurde so gemil¬
dert, daß nur ein fakultatives Referendum besteht, wenn
8 Kantone oder 30,000 Bürger erneuerte Berathung über
ein Gesetz verlangen sollten. Am 12. Mai 1872 wurde
die erste Revision von 261,000 gegen 255,000 Stimmen
verworfen. Am 19. Apr. 74 aber siegte die Revision mit
340,000 gegen 198,000 Stimmen. Zugleich wurden die
Landeskirchen in Neuenburg, Basel, Bern, Genf, Thur¬
gau so revolutionirt, daß an die Stelle der Bekenntni߬
kirche die Volksküche trat, welche das Bekenntniß für ent*
behrlich erklärte. Ein Schritt, der natürlich zur Bildung
freier Kirchen führte und sich in seinen Folgen noch nicht
übersehen läßt.
Ein Hauptwerth dieses regsamen Freistaats für seine
Nachbarn liegt darin, daß auf diesem schmalen Boden ein
Versuchsfeld angelegt ist für allerlei politische Experimente.
Sagt ein Versuch den Schweizern nicht zu, so können sie