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sie alle. — Die Schwalbe hat einen sehr geschickten Hlug. Sie jagt
im Fliegen, trinkt im Fliegen, badet im Fliegen, und zuweilen ätzt
sie selbst ihre Jungen im Pliegen. Bald fährt sie im Zickzack durch
die Wolken, bald im geraden Schuss über das Wasser; jetzt schwingt
sie sich blitzschnell hinab und ebenso schnell vieder empor. Beim
Nahen eines Gewitters streicht sie in langen Länien lautlos über
den Boden hin, die Mücken und Wasserspinnen haschend. — Kaum
sind die Jungen befiedert, so werden sie von der Alten in der Kunst
des Fliegens geschult. In einer Strasse, 2wischen zwei Mauern oder
sonstwo, beginnen die Übungen. Anfangs schiesst die Schwalben-
mutter in geradem Fluge dabin; die Jungen folgen unsicher, bald
aber schneller und schneller. Nun durcbschwärmt die Lehrmeisterin
in Biegungen und Schwenkungen die Luft. Die junge Brut ist
zuversichtlieh geworden; sie thut es der Alten nach, und nach einigen
Abenden ist die Probe bestanden.
Wie schön und weise hat aber auch des Schöpfers Hand sie
geformt! Der zarte, schlanke Leib mit dem knappen Gefieder, die
Iangen, spitzen Flügel, der gestreckte, weit gegabelte Schwanz —
alles erleichtert das Hiegen. Nur die kurzen Fülse vermögen den
Körper kaum zu tragen, zum
Zeichen, dass nicht auf dem
Boden, sondern in den Wolken
der Weg der Schwalbe sei.
Ihr Auge ist scharf und blickt
Rug. Ihre Stimme ist bald
zwifschernd, bald leise hla-
gend, bald lustig aufsreischend.
Die Sauberkeit der Schwalbe
ist sehr gross. Um so wunder-
barer ist es, dass sie das Mauerwerk ihrer Nester aus eitel Schmutæ
und Schlamm aufführt. Mit ihren Stammesverwandten lebt sie ge-
sellig zusammen, pflegt mit zürtlicher Liebe ihre Jungen und bebütet
des Nachts plaudernd das Nest.
Vertrauensvoll nistet die Schwalbe unter dem Dache, ja am
Herde des Menschen. Darum ist sie diesem ein lieber Vogel. Ihre
rũührende Sorge für die Jungen, ihr zutrauliches Nisten an den
Hãusern, ihr munteres Spiel in den Lüften, ihr Kommen und Scheiden
mit der kommenden und scheidenden Sommerluft: das alles hat sie
uns wert gemacht. Manche fromme Sage knüpft sich an diesen
Vogel. Die Leute sagen: „MWo die Sckwalbe nistet, zündet kein
Blĩtz; wer ihr Nest zertrümmert, zerstört sein eigenes Glück“.
Im Herbste siebt man die Schwalben sich auf Dächern und
auf dem Schilfe der Seeen sammeln. Sie verschwinden, kehren aber
wieder zurũck, als würde ihnen die Lrennung schwer. Endlich brechen
sie plötzlich auf und ziehen dahin, wo die Sonne wärmer scheint.
Masius.