Wenn der Lerbst komnit.
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Tierleben. Der arme Lase sucht ein sicheres Lager; die Feldmaus hüpft um-
her samt dem Erdfröschchen, dem kein Storch mehr droht; der Freibeuter-
Sperling schwirrt von Breite zu Breite. Der Kreatur ist noch überall
der volle Tisch gedeckt. And daß am frischtreibenden Herzblatt der Feld¬
blume auch schon wieder ein welkes hängt und daß in der Nacht wohl
ein früher Frost den Schmetterling erhascht — wer mag es denn sehen?
Mit Glanz und Licht ist alles überschwemmt. Silbern ziehen, gleich
Traumgebilden der Luftseele selber, die Lerbstfäden durchs Blau, und
wie Milch fließt lind Wärme um Stamm und Lalm und Stein. Sie
weckt auf der Wiese ein neues Grün. Blaue Scabiosen und rote Cen-
taurien blühen, die Zeitlose webt Amethysten in die samtene Trift.
Gehe dem zarten Sterne nicht vorbei. Jedes Blatt voll feinen Geäders,
wie frisch aus der Knospe geschält, um den Knauf des Pistills fünf
zierliche Radspeichen gestellt und dazwischen mit betropften Wimpern
der Fächer der Nektarien: nie hat Floras Finger ein lieblicheres Spiel
gebildet! Dem kurzgrasigen Anger fehlt dieser Schmuck. Nur das
Maßliebchen findet da noch immer Platz, es blüht unverdrossen vor sich
hin, wenig bekümmert um die Dämmergespenster der Pilze ringsumher.
Aber hier weiden Rinder in friedlichen, besonnten Gruppen. Zm fernen
Bruch, wo Kiebitz und Schnepfen sich bergen, schattet Erlicht um den
Kolk. Anbewegt liegen ans dem schwarzen Spiegel die breiten, prächtigen
Mummelblätter, und aus dem Grunde steigt die stille, weiße Blume.
Aber es geht mit den Blumen wie mit den Werken der Dichter: die
Frühlingskinder haben Duft, die Spätlinge bloß Farbe. Der Lerbst
ist mu- eine Fata Morgana des Frühlings; auch seine schönsten Blumen
deuten aufs Ende, und vielleicht haben wir sie gerade darum so lieb.
Es ist eben nicht mehr die Zeit der Blüten, sondern nur noch der Früchte.
Auch der Sommer hat schon manches gereist an Bäumen und
Sträuchern; allein es waren flüchtige Geschenke, die im raschen Zuge
genossen sein wollten. Die edlere, dauernde Frucht bringt nur der
Gerbst. In sie legt er alles, was er an Farbe, Süße und Duft ge¬
sammelt hat. Da ist die goldene Birne, der Apfel mit dem lachenden
Amorettengesicht, da lockt die Pflaume, mit zartblauem Lauch bestäubt,
und im wärmeren Versteck der würzige Pfirsich. Auf der Weinbergs¬
mauer aber, von zähen Strängen gehalten, lagert tonnenbäuchig der
sonnengeschwollene Kürbis; er hütet die Kinder der Rebe. Wer aber
wollte sich mühen, um die poetischste aller Flüchte zu zeichnen, für die
selber das Wort Frucht schon zu fest und zu schwer erscheint! Jede
Beere ein Tropfen und Beere an Beere, welch eck köstliches, triefendes
Traubengehänge! Durch den duftigen Schleier blickt das Auge tief