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Zweites Kapitel.
Getäuschte Hoffnung.
, Es war ein eigentümliches Band, welches den alten
Stasse mit seiner Pflegetochter Marie verknüpfte. Sie
waren nicht miteinander verwandt, aber seit ihrem zehnten
Jahre war Marie im weißen Roß und galt allgemein
als die Erbin des Besitzers, dessen Ehe mit seiner vor
einigen Jahren Heimgegangenen Frau kinderlos geblieben
war. Der Vater des Mädchens, Sergeant Holleuser,
war ein alter Kriegskamerad Stäffe's; sie hatten den
ersten Koalitionsfeldzug gegen Frankreich mitgemacht, aber
ber Kaiserslautern, am 28. November 1793, war Hol-
lenser von einer tückischen Sansknlottenkugel in die Brust
getroffen und hatte bald darauf in den Armen seines
Freundes Stäffe seine Seele ausgehaucht. Sterbend
hatte er diesen gebeten, sich seines Weibes und seines
verwaisten Töchterleins anzunehmen, die er in Wolfen-
büttel zurückgelassen, und Stäffe hatte dieses Versprechen
gern dem wackern Soldaten und treuen Kameraden ge¬
geben, und was noch mehr wert war, er hatte es treulich
gehalten. Als er nach dem Friedensschlüsse von Basel
in die Heimat zurückkehrte, war sein erster Gang nach
Wolfenbüttel, um der Familie des in Ehren Gefallenen
die letzten Grüße desselben zu überbringen. Das Weib
Holleufers wurde durch die Trauerbotschaft so erschüttert,
daß ste,_ die ohnehin nicht stark war, in eine heftige
Krankheit verfiel, und nach einigen Wochen stand Marie,
nun völlig verwaist, am Sarge der Mutter. Es wurde
jetzt ein Vormund für das Kind bestellt, und dieser glaubte
am besten für dasselbe zu sorgen, wenn er ihm ein Unter¬
kommen im Waisenhaufe verschaffte. Dagegen aber pro¬
testierte Stäffe. „Nein", sagte er, „das Mädchen soll
nicht in's Waisenhaus, so lange ich lebe. Ich habe dem
Freunde versprochen, für dasselbe zu sorgen, und dieses
Versprechen will ich halten. Ich nehme das Kind mit