Full text: Bilder aus dem Weltkrieg (Teil 1)

Die Ltadt Libau. 
63 Schulen und sogar eine deutsche Stadtverwaltung. Neben den Letten 
haben sich mit dem Wachsen des auswärtigen Handels Libaus eine Reihe 
anderer Völkerschaften in der Stadt niedergelassen, so besonders Russen, Polen, 
Juden und L:.auer, so daß man dort ähnlich wie in anderen großen Hafen¬ 
städten der Welt einem auffallenden Sprachengewirr begegnet, in das sich auch 
skandinavische (schwedische und norwegische) und englische Laute mischen. 
Libau ist aber auch eine sehr beliebte Seebadestadt mit trefflichen Bade¬ 
einrichtungen und einem schönen, am Meer gelegenen Kurhaus. Im Sommer 
begegnet man hier vielen deutsch-baltischen Familien, die Erholung suchen. 
Nun sind unsere Feldgrauen in Libau eingerückt und werden hoffentlich 
auch recht lange darin bleiben. 
Auf kurze Zeit waren schon einmal preußische Krieger in dieser kur¬ 
ländischen Seehandelsstadt einquartiert. Das war im Sommer des Jahres 
1812, als Preußen dem Kaiser der Franzosen, Napoleon, bei seinem Kriege 
gegen.Rußland Gefolgschaft leisten mußte. Das preußische Hilfskorps, das 
unter dem Befehl des Generals von ^orcf stand, bildete den linken Flügel 
der großen französischen Armee und hatte die Aufgabe, gegen Mitall lind Riga 
vorzurücken. Eine kleine Abteilung desselben marschierte von Memel aus 
über Polangen nach Libau. Ein Leutnant von den Füsilieren hat sich 
damals über diesen Zug nach Libau und weiter nach Mitau und bis zur Düna 
Aufzeichnungen in seinem Tagebuch gemacht, die viel Merkenswertes ent¬ 
halten. 
Das Stadtbild Libaus hat sich seit den Tagen des ersten Preußen-Einzugs 
sehr verändert. Die niedrigen Holzhäuser sind meist durch größere Stein¬ 
bauten verdrängt. 
Nahe der lutherischen Kirche ist jüngst der stattliche Neubau eines 
deutschen Theaters entstanden. Mehrere russische Kirchen, die mit ihren 
bunten zwiebelförmigen Kuppeln wenig zu dem deutsch-protestantischen Cha¬ 
rakter der baltischen Hafenstadt passen, sind in den letzten Jahrzehnten, in 
denen die Russifizierung des Baltenlandes*) von der Regierung mit Hochdruck 
betrieben wurde, mit viel Kosten gebaut worden. 
*) Russifizierung des Baltenlandes (der Ostseeprovinzen). 
Rußland wandte lief) mit einer Reihe von harten Verwaltungsmaßregeln gegen die 
Lebenswurzeln des Deutschtums in den Ostseeprovinzen: die evangelisch-lutherische Kirche, 
die deutsche Schule und die deutsche Selbstverwaltung in Stadt und Land. So wurde n. a. 
die m|tische Unterrichtssprache und Gemeindeordnung eingeführt, dem deutschen Adel und 
den Geistlichen die Verwaltung der Volksschule genommen und in die Hände von russischen 
Beamten und Lehrern gelegt. Die deutsche Stadt Dorpat in Livland erhielt den Namen 
Iurjew, die dortige deutsche Universität wurde in eine russische Hochschule niedrigsten Ranges 
umgewandelt. Im Jahre 1890 waren in Dorpat unter 1812 Studierenden 1111 Deutsch: 
brüten, im Jahre 1904 kamen auf 1898 deren nur 498! — Das Russifizierungssystem 
führte zu einer Entfremdung zwischen Deutschen und Eingeborenen und zu einer Ver¬ 
hetzung und Verbildung der letzteren und war mit die Ursache zu der baltischen Revolution 
im jähre 1905, die lieh in erster Reihe gegen das Deutschtum wandte. Binnen drei 
Monaten gingen 243 deutsche Güter in Flammen auf, unsägliches Elend kam über das 
Land. — Nachdem die Revolution durch die Russen niedergeworfen worden war, gestattete 
der Aar den baltischen Deutsche«, beim Unterricht ihre Muttersprache zu gebrauchen. Nun
	        
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