Full text: Mit 42 Abbildungen (Teil 1 = (2. und 3. Schuljahr), [Schülerband])

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wurde die ganze Gegend unsicher gemacht durch einen ungeheuern Greif, 
der sich in dem undurchdringlichen Walde am Queis ein Nest gebaut 
hatte und zum Futter für seine Jungen tagtäglich Menschen und Tiere 
raubte und dorthin trug. Niemand wagte mehr sein Vieh auf die 
Weide zu treiben oder das Feld zu bestellen, aus Furcht, von dem 
Ungeheuer entführt zu werden. So trat dort allgemeine Hungers— 
not ein. 
Darum ließ der Herzog Bolko von Liegnitz durch seine Herolde 
großen Landbesitz und eine mächtige Summe Geld dem kühnen Manne 
versprechen, der die Landschaft von der Plage befreien und den Vogel 
samt seiner Brut vertilgen werde. 
Es ließ sich aber niemand durch die Hoffnung auf so reichen Gewinn 
bewegen, das Wagstück zu unternehmen. Das Elend unter den Bewoh— 
nern wurde dabei immer größer. Da ließ der Herzog dem, der das 
Ungetüm erlege, auch noch die Hand seiner einzigen Tochter Agnes ver— 
heißen. 
2. Nun wohnte in der Nähe ein junger Schäfer, Gottsche Schaf 
mit Namen, ein mutiger, stattlicher Jüngling, der täglich seine Herde 
ins Gebirge zu treiben pflegte. Er hatte einstmals die schöne Herzogs— 
tochter auf Burg Lähnhaus gesehen und beschloß, sein Leben zu wagen, 
um sie zu besitzen. 
Eines Tages bewaffnete er sich mit einer Stange und mit einer 
scharfen Axt und ging aus seinem väterlichen Hause ins Gebirge. Er 
strich bereits mehrere Tage durch den dichtesten Wald, ohne das Nest 
des Vogels entdecken zu können. Allein am dritten Tage, als er sich 
eben todmüde auf den Boden geworfen hatte, vernahm er plötzlich über 
sich ein starkes Rauschen und erblickte den Greif. Mit einem starken 
Rinde zwischen den Klauen ließ sich das Untier aus der Luft auf den 
Gipfel eines ungeheuern Baumes nieder, der in der ganzen Gegend 
unter dem Namen der „Maleiche“ wohlbekannt war. Gleichzeitig vernahm 
der Jüngling aus der Höhe das gierige Geschrei der Jungen. Er wußte 
jetzt, wo das Nest war, und suchte sich für die Nacht ein sicheres 
Versteck. 
3. Als nun der alte Greif am nächsten Morgen wieder ausgeflogen 
war, sammelte Gottsche in der Nachbarschaft der Eiche dürres Reisig, 
band es zu einem Bündel zusammen, befestigte es an seiner Stange, 
kletterte ein Stück an der Eiche hinauf und entzündete dort das 
Reisigbündel. Als es hell aufloderte, hob er es mit seiner Stange 
bis zum Wipfel des Baumes empor und zündete so von unten das 
Nest an.
	        
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