Full text: Zur deutschen Geschichte (Teil 1)

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Luther. 
Eisleben. 1483. 
Ich bin eines Bauern Sohn. Mein Urgroßvater, Großvater und Vater sind rechte Bauern 
gewest. Danach ist mein Vater nach Mansfeld gezogen und allda ein Bergmann worden. 
Meine Eltern sind erstlich arm gewesen; mein Vater war ein armer Hauer (Bergwerks¬ 
arbeiter) und die Mutter hat ihr Holz auf dem Rücken heimgetragen, damit sie uns Kinder 
erzogen haben. Sie haben sichs lassen blutsauer werden, jetzt thäten's die Leute fürwahr nimmer. 
Melanchthon von Luthers Mutter: Sie hat viele Tugenden an sich gehabt, die einer 
ehrlichen Fraueu zustehen, und ist insonderheit berühmt gewesen ihrer Zucht, Gottesfurcht und 
fleißigen Gebetes halber, daß auch alle anderen ehrlichen Weiber auf sie als auf ein Exempel 
und Fürbild der Tugend und Ehrbarkeit sonderlich gesehen haben. 
Mein Vater stäupte mich einmal so sehr, daß ich ihn floh und ward ihm gram, und 
währte lange, bis er mich wieder zu sich gewöhnte. Die Mutter stäupte mich einmal um 
einer geringen Nuß willen, daß das Blut darnach floß. 
Meine Eltern haben mich gar hart gehalten, daß ich auch darüber gar schüchtern wurde, 
und meiner Mutter ernst und gestreng Leben, das die führte, das verursachte mich, daß ich 
hernach in ein Kloster lief und ein Mönch wurde. Aber sie meinten es herzlich gut und 
konnten nur die ingenia nicht unterscheiden, darnach man die Strafe abmessen muß. Denn 
man muß also strafen, daß der Apfel bei der Rute sei. 
Ja, wie leid ist mirs doch jetzt, daß ich nicht mehr Poeten und Historien gelesen habe 
und mich dieselben auch niemand gelehrt hat, und habe dafür müssen lernen des Teufels 
Dreck mit großen Kosten, Arbeit und Schaden, daß ich genug habe davon auszufechten. 
Eisenach. 1498. 
(Joh. MathesiuS:) Allda ist dieser Knabe, wie manches ehrlichen und wohlhabenden 
Mannes Kind, nach Brod gegangen und hat vor den Bürgerhäusern gesungen. Was groß 
soll werden, muß klein angehen; und wenn die Kinder zärtlich und herrlich erzogen werden, 
schadet es ihnen ihr Leben lang. 
Verachte mir nicht die Gesellen, die vor der Thür panem propter deum suchen und 
den Brodreigen singen; ich bin auch ein solcher Parthekenhengst*) gewesen und habe das Brod 
von den Häusern genommen, sonderlich zu Eisenach, meiner lieben Stadt. 
101. Aer Wiltrve Kaus zu Giseuach. 
Horch! durch des Winters Sturmgesanse „Den Sänger, ja! den muß ich kennen, 
O bringt den Knaben her zu mir! 
Komm, sollst mich deine Mutter nennen, 
Du lieber Sänger, weile hier!" 
Und unter's Dach führt sie den Armen 
Und fragt und forscht nach seiner Not. 
An ihrem Herd soll er erwärmen, 
Sich sättigen an ihrem Brot. 
Ertönt mit Macht ein neues Lied, 
An manchem stolzen Herrenhause 
Der stumme Chor vorüberzieht; 
Doch vor der Wittwe stiller Wohnung, 
Da wird der Mund ihm aufgethan, 
Und mit gar festlicher Betonung 
Stimmt er die frommett Weisen an. 
Hin zu der Schüler Lobgesängen 
Neigt sich der frommen Wittwe Ohr. 
Ihr ists, als ob ins Herz ihr klängen 
Der Engel Grüß' aus höherm Chor; 
Doch weitaus vor den Stimmen allen 
So keck und frisch und doch so rein, 
Hört sie des Einen Stimme schallen, — 
Wer mag der holde Sänger sein? 
So wuchs heran der Martin Luther, 
Erzogen in der Witwe Haus, 
Und es erblüht' der frommen Mutter 
Ein ewig frischer Kranz daraus: 
Denn wo von Luther wird gesungen, 
Fängt man mit diesem Liede an, 
Und dankbar rühmens alle Zungen, 
Was an dem Kleinen sie gethan. 
R. H. hagenbach. 
*) Particulae: Brocken.
	        
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