Full text: Kommentar zu Serie I der Kulturgeschichtlichen Bilder (H. 1)

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sie sich die Zeit durch das Spielen mit Puppen (tocken), Bällen, Kugeln, 
Kreiseln, Kochgeschirr und dergl. vertrieben hat, herbeigeholt, um sie dem 
Sänger vorzustellen. Denn dieser weilt heute nicht zum ersten Male aus der 
Burg, sondern war vor Jahren hier, als das Mädchen, das er zu sehen 
begehrt, aus der Taufe gehoben wurde. Die Tochter versteht es bereits, sich 
dem Sänger gegenüber nach den Regeln der Hofzucht zu benehmen, und die 
Mutter ist erfreut, daß die Erziehung schon Fruchte zu zeigen beginnt. Bei 
derselben kommt es weniger darauf an, dem Mädchen eine wissenschaftliche 
Bildung zu geben, als vielmehr sie geschickt zu machen zu ihrem einstigen 
Beruf. Dazu gehört vor allem ein anständiges, höfisches (daher höflich, hübsch) 
Benehmen, also höfische Zucht, ferner die Kenntnis der gewöhnlichen gesell¬ 
schaftlichen Spiele, der Mnfik und vielleicht auch einer fremden Sprache, 
namentlich der französischen. Dabei wird aber auch die Vorbereitung für den 
Beruf als Hausfrau nicht vernachlässigt; -Nähen, Spinnen, Sticken und andere 
weibliche Handarbeiten muß das Mädchen von früher Jugend an erlernen. 
Die religiöse Erziehung der Tochter, sowie der anderen Kinder des Ritters 
ist dem Kaplan anvertraut, der sie das Paternoster, das Ave Maria und 
den Glauben lehrt. Auch das Lesen und Schreiben versucht er ihueu bei¬ 
zubringen, indem er sie die Buchstaben mit Griffeln auf Wachstafeln nach¬ 
malen läßt. Freilich ist der Erfolg gering. Das Mädchen hat es hierin 
weiter gebracht, als die Knaben, sodaß es vielleicht später im stände ist, das 
Lied eines Sängers oder einen Ritterroman zu lesen. Die übrige Erziehung 
liegt in den Händen der Mutter, denn eine Zuchtmeisterin, welche sich aus¬ 
schließlich der Beaufsichtigung und der Unterweisung der Tochter widmet, ver¬ 
mag man derselben nicht zu halten. Doch soll sie in nicht allzuferner Zeit 
an den Hof des Laudesfürsteu gebracht werde, wodurch ihre Erziehung oollendet 
werden wird. Streng handhabt die Mutter die Erziehung der Kinder. Un¬ 
arten, widerspenstiges Wesen, Faulheit treibt sie ihnen mit tüchtigen Schlägen 
aus. Aber der Sänger meint: 
Nieman kan heberten Nimmer wirds gelingen, 
kindes zukt mit gerten: Zucht mit Ruten zwingen: 
den man z’eren bringen mac, Wer zu Ehren kommen mag, 
dem ist ein wort als ein slac. Dem gilt Wort so viel als Schlag. 
(S. Pfeiffer. No. 168. S. 281.) (S. Simrock. No. 197. S. 302.) 
Während so der Wirt und seine Gemahlin sich mit dem fahrenden 
Sänger unterhalten, fesselt den Kaplan und einen Ritter das Spick. Von 
altersher ist das Würseln, welches der Sage nach in Palästina und zwar 
in Hezar (oder Hazart, daher Hasart) erfunden sein soll, das beliebteste 
L-piel unter Männern, unb auch Geistliche huldigen trotz strenger Verbote 
diesem Spielteufel. Um sie von solcher weltlichen Lust einigermaßen abzuziehen,
	        
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