Der Kampfplatz.
Die Dardanellenkämpfe. Nr. 14.
Schwarzes
v Meer
Adrianopel Ml(Jia^
[Europ. Türkei
Lataldsoha'
l<nn«tant]f^y
Marmara-M.
Rodostoc
DedeagWch
Kap Suvla
Suvla - Bucht
-Anafarta
*
] Im Besitz der Westmächte.
Schwarzes
v Meer
Adrianopel Ml(Jia^
[Europ. Türkei
Ari Burnu
(Anzak) &
Boghali
Lataldsoha'
l<nn«tant]f^y
Marmara-M.
Rodosto«
anellen in ihrer Lage
Konstantinopel.
Busen
Erenköi
Die Dardarellenkämpfe im Jahre 1915.
A. Eine große Bedeutung für den Ausgang des Krieges hat
die Frage der Dardanelleneroberung. Früher hatten die Engländer
nie den Wunsch gezeigt, den Russen den Besitz Konstantinopels
zu verschaffen oder gar ihnen einen Anteil an der Beherrschung
des östlichen Mittelmeeres zu übertragen. Ihre Sorge um Indien
schloß jeden Gedanken dieser Art aus. Jetzt verfolgten sie plötz¬
lich eine entgegengesetzte Politik. Die Gründe waren:
1. Der Wunsch, die Russen durch die Aussicht auf Konstanti¬
nopel in guter Stimmung zu erhalten. Freude am Kriege
gegen Deutschland hatten diese selbstverständlich schon lange
nicht mehr. Nur die Hoffnung auf Konstantinopel hielt sie
aufrecht. Schieden sie aus der Reihe des Yierverbandes aus,
so waren dessen Siegesaussichten nahezu vernichtet.
2. Die Türken, die am Suezkanal viel unbequemer werden
konnten, sollten lieber an den Dardanellen festgehalten werden.
3. Die Ehre verlangte, ein Unternehmen, das immer als leicht
und dessen Gelingen als über jeden Zweifel erhaben geschildert
wurde, zum erfolgreichen Abschluß zu bringen. Ein Scheitern
hätte Englands Ansehen im fernen Osten sehr gefährdet.
B. So versuchte man es seit dem 25. Februar fünfmal, durch
die großen englisch-französischen Schiffe die Befestigungen der
Dardanellen zu zerstören. Diese Angriffe, mit denen am 4. März
auch Laylungsversuche verbunden wurden, scheiterten zur Über¬
raschung der Engländer vollständig- Man ging deshalb am 18. März
zu dem ersten ernsteren Angriff über, verlor dabei aber u. a. vier
große englische und französische Linienschiffe. Jetzt hieß es einen
ändern Weg suchen! Zuvörderst müsse man die Halbinsel Gallipoli
durch Landtruppen nehmen. Da aber England grundsätzlich schwere
und gefährliche Unternehmungen lieber ändern überträgt, bestimmte
es zur Ausführung die Griechen. Der Ministerpräsident Weniselos
war auch — man weiß nicht aus Welchen Gründen — für diese
abenteuerliche Aufgabe gewonnen, besonnener aber urteilte der
König und sein Generalstab; sie lehnten den Auftrag ab, und die
Engländer suchten nun weiter.
Merkwürdigerweise wendeten sie sich jetzt an die Bulgaren.
Allerdings waren diese mehr wie ein anderes Volk in der Lage,
durch ihr tüchtiges Heer auf das nahe Konstantinopel einen fühl¬
baren Druck auszuüben; aber noch zweifelloser hatte dieses von
seinen Nachbaren und den Vierverbandsmächten betrogene und
übervorteilte Volk gar kein Interesse daran, Geld und Blut her¬
zugeben, um Rußland in den Besitz des Bosporus zu setzen und
Serbien zur Vormacht des Balkans zu machen. Denn für sie, von
denen es soviel Lndank erfahren hatte, hätte es seine Selbständig¬
keit und seine Zukunft opfern müssen.
In Bulgarien abgewiesen, suchte England, das noch immer
nicht gut an die eigenen Söhne denken konnte, ringsherum weiter.
Vielleicht konnte Portugal, das gegen England niemals einen
eigenen Willen gezeigt, vielleicht Italien, das mit so schönen
Worten in den „Freiheitskrieg“ eingetreten, die Sache übernehmen.
Überall aber gab es Ausreden, und so wendete sich England zu¬
letzt an seine Kolonien und Schutzbefohlenen. Hier fand es end¬
lich auch wirklich Beistand. Es kamen Kanadier und Australier;
desgleichen Gurkhas aus Indien. ^Uch die Franzosen ergänzten
ihre Truppen aus den Negern Senegatnbiens und ändern „farbigen“
Landsleuten, und so kam ein zahlreiches, buntes Heer zusammen,
das, mit Engländern und Franzosen vermischt, für die ihm so fremde
Sache die Dardanellen nehmen sollte.
Unter dem Schutze der großen Schiffe gelang es den Eng¬
ländern, am 27. April bei Seddil Bahr zu landen. Die Franzosen
dagegen hatten gegenüber auf der asiatischen Küste nur große
Verluste und wurden dann wieder auf die Schiffe zurückgetrieben.
Darauf besetzten auch die Franzosen auf der südlichsten Ecke der
Halbinsel ein Stück, aber auf der Ostseite, wo sie die Aufgabe be¬
kamen, den Kervesdere hinauf den Ort Krithia und den über¬
ragenden, 709 m hohen Atschi Baba anzugreifen. Die Engländer
sollten das Gleiche von Nordwesten aus besorgen. War'diese Höhe
genommen, so hoffte man von hier herab nach und nach zu den
Engen Vordringen zu können.
Nach furchtbarer Beschießung wurde der Sturm am 6., 7. und
8. Mai versucht. Bei der Wirkung der Lydditgeschosse mußte, wie
man berechnete, jeder Widerstand gebrochen und der Sieg gesichert
sein, aber — die anscheinend zusammengeschossenen Türken waren
noch so lebensfähig, daß sie den Angriff völlig zurückschlugen.
Eine weitere Enttäuschung erfuhren die Engländer am 13. Mai,
als das große Linienschiff Goliath vor ihren Augen in der Einfahrt
der Dardanellen versenkt wurde. Dazu kam dann als neues Unheil
die leidige „Pest des Meeres“: Deutsche Unterseeboote. Und kaum
hatten sie sich eingefunden, so gingen sie auch schon an ihre
Arbeit. Am 25. Mai versenkten sie das Linienschiff Triumph, am
27. Mai das noch größere Scniff Majestic. Andere Schiffe retteten
die Engländer, wenn auch arg beschädigt, nach dem Hafen Mudros
(Lemnos). Nach solchen Mißerfolgen legte man wieder auf den Land¬
kampf das Hauptgewicht. Man versuchte es am 4. und am 28. Juni,
desgl. am 12. und 13. Juli mit Gewaltangriffen auf den Atschi Baba,
hatte aber statt aller Gewinne nur Verluste von 30 — 40 000 Mann.
So mußte man ganz neue Wege zur Eroberung der Halbinsel
ersinnen. Die Vorbereitungen dazu sollten ebenso gründlich wie
wirkungssicher sein.
Wochen ^ergingen. Dann schickte Kitchener 100 000 Mann
seiner Verstärkungen. Anfang August schritt man zur Ausfüh¬
rung. Während anscheinend noch immer Krithia und der den Ort
überragende Atschi Baba die bedrohten Punkte blieben, wurden
am 6. August in dunkler Nacht bei abgeblendeten Lichtern jene
100000 Mann nordwärts nach der Suvla-Buclit gebracht. Dicht
gedrängt wie „die Heringe“ fuhren die Truppen zu ihrem Ziele. Die
sofortige Landung glückte, schon weil der Salzsee landeinwärts
einige Deckung bot. Dann begannen sie ohne weiteres an beiden
Seiten dieses Sees auf Kiitschük- (Klein-) und Bijük- (Groß-) Ana¬
farta vorzugehen. Die Australier sollten den Angriff bei Ari Burnu
(Anzak) unterstützen, während gleichzeitig, ebenfalls zur Täuschung,
auch Krithia wieder heftig beschossen wurde.
Der leitende Gedanke bei dieser Unternehmung war, über
die Höhen hinüberzusteigen, das Gebiet bis Maidos in Besitz zu
nehmen und so die Halbinsel vom Festlande abzusperren. Aber der
überraschende Angriff auf Anafarta mißglückte doch, namentlich
bei der nördlichen Abteilung, und dabei hatten die Maoris aus Neu¬
seeland die tapfersten Nachtangriffe gemacht! Unter den größten
Verlusten mußten alle Angreifer am 10. August wieder aus den
Schluchten und Hängen zurückgehen. Noch unglücklicher verlief
der Angriff am 21. August, da jetzt eine Überraschung der Türken
ausgeschlossen war. Und als dann am 26., 27. und 28. August die
Kämpfe doch wieder aufgenommen wurden, entwickelten sie sich
zu den blutigsten des ganzen Dardanellen-Feldzuges. Nicht genug,
daß die Engländer um 500 bis 1000 Meter zurückwTeichen mußten,
ließen sie auch noch 10000 Tote auf dem Schlachtfelde.
Ihr Gesamtverlust belief sich nach den Angaben des Fünrers
Hamilton bis zum 15. September auf fast 100 000. (250000 Mann
nach Schätzung der Türken.) Dabei waren die Erkrankten nicht
mitgezählt. — Es war selbst für die Engländer kein ausreichender
Trost, daß die Verluste besonders Kanadier, Inder und Australier
betrafen. Unter den letzteren waren viele Maoris. Es verloren die
Australier allein 1200 Offiziere und 27 000 Gemeine. Und das für
eine sc fremde Sache! — Und auch die Engländer hatten nichts
Rechtes gewonnen, denn von dem eigentlichen Ziel blieben sie
durch hohe, wohlverteidigte Berge so fern wie zuvor.
Immer sorgenvoller suchten die Engländer wieder Bundes¬
genossen, die für sie sich totschießen ließen. Sie dachten wieder
an Italien, das immer so schön von dem gemeinsamen Interesse
gesprochen hatte. Aber dieses Land, das immer lieber erntet als
sät, gedachte seines heiligen Egoismus und fand wieder Ent¬
schuldigungen.
Den Engländern aber wurde das ganze Unternehmen immer
mehr verleidet.
Da fand sich, wie ein „Gott auf der Maschine“, ein anderes
Unternuhmen, das anscheinend noch sicherer auf den Weg nach
Konstantinopel führe — der Abzug nach Saloniki!
Ein großer glänzender Sieg war im Westen von Joffre ge¬
plant; er galt der Durchbrechung der deutschen Linien in Artois
und in der Champagne. Unter dem Eindruck dieses „glänzenden
Sieges“ sollten die neutralen Staaten des Balkans sämtlich mit fort¬
gerissen und unter ihrer allseitigen und tatkräftigen Mitwirkung
Österreich im Norden der Balkanhalbinsel und die Türkei im Süden
zertrümmert werden. Natürlich würden diese Umwälzungen auch
Rußland frei und zu erneutem Vormarsch auf Berlin fähig machen.
So wiegte man sich, wie das bekannte Milchmädchen, in den schön¬
sten Träumen.
Allein die Sache kam doch ganz anders. Der große glänzende
Durchbruch scheiterte ungeachtet einzelner Teilerfolge. Die Hoff¬
nung, daß trotzdem Griechenland sich jetzt fortreißen lasse, mi߬
glückte ebenfalls durch den Widerspruch des Königs. Und Weniselos,
der wieder Ministerpräsident geworden und für die Pläne der West¬
mächte ungeachtet aller Dardanellen- Erfahrungen noch immer zu
haben war, mußte wie früher zurücktreten.
Und vollends scheiterten die Pläne des Vierverbandes, als Bul¬
garien, das man noch immer durch Versprechungen ködern wollte,
sich auf die Seite der Mittelmächte stellte, als ferner Griechen¬
land jetzt eine ernstgemeinte Neutralität erklärte, und — eine
starke deutsch-österreichische Armee unter Mackensen in Serbien
einrüclcte. Das bedeutete, wenn alles gelang, eine räumliche Ver¬
bindung zwischen den Mittelmächten, den Bulgaren und Türken!
Die Gefahren einer solchen Lage sich auch nur auszudenken,
Sträubte sich ganz England. Das waren ja Napoleonische Pläne!
C. Die Ratlosigkeit im Vierverband stieg auf das höchste. Sie
äußerte sich zunächst in einer plötzlichen Erkrankung fast aller
Minister des Äußeren, und so heftig trat diese bei Delcass6 auf,
dem ärgsten und unermüdlichsten Revancheschürer, daß er sofort
um seine Entlassung bitten mußte. Man konnte ihm die Bitte
nicht abschlagen.
So hatten England und seine Freunde im nahen Orient jetzt
Statt eines Sorgenkindes deren zwei: Gallipoli und Saloniki!
(Abgeschlossen 15. November 1915.)
Die Stellung der Engländer und Franzosen auf der Halbinsel Gallipoli und ihre Landungsstellen 0