Marheinecke: Luthers Leben bi« zu seiner Berufung nach Wittenberg. 145
und den Gehorsam wieder herzustellen. Als aber der Steuermann der
ängstlichen Mannschaft verkündete, daß man nach dem Tagebuche des Ad¬
mirals 578 Meilen zurückgelegt habe, und als den nun schon so oft durch
Vögel, Pflanzen und Wolken Getäuschten die Sonne immer wieder aus
dem küstenlosen Ozean emporstieg, nachdem es schon manchen Abend ge¬
schienen, als ob man Land vor sich gesehen: da vermochte die Mannschaft
ihren Ingrimm nicht länger zurückzudrängen und verlangte mit Ungestüm
die Rückkehr. Columbus blieb fest und bat noch drei Tage zu warten.
Zum größten Glück erschienen jetzt deutliche, unzweifelhafte Zeichen von
Land: frische Beeren, ein Rohr, ein kleines Brett, endlich auch ein künst¬
lich geschnitzter Stab. Das Senkblei erreichte den Boden, der Wind war
unregelmäßig, und als am 12. Oktober 1492 der Morgen graute, stand
die ganze Mannschaft in neugieriger Spannung auf dem Verdeck; ein
schönes, ebenes Eiland entfaltete sich vor ihren Blicken, über und über
mit dem üppigsten Grün und den herrlichsten Bäumen bedeckt. Aus den
Wäldern kam eine große Zahl von Menschen, ganz nackt, von kupferrother
Hautfarbe, das Haar dick und schwarz in Locken auf den Nacken herab¬
fallend. Voll Staunen sahen sie die weißen Männer sich der Küste nähern,
erschrocken ergriffen sie die Flucht in die Wälder. Columbus, in reichen
Scharlach gekleidet, mit dem königlichen Banner in der Hand, zog sein
Schwert und nahm, nachdem er Gott auf den Knieen mit Thränen ge¬
dankt, feierlich im Namen der Spanischen Herrschaft Besitz von der Insel,
der er den Namen San Salvador gab. Columbus lebte der festen Ueber¬
zeugung, daß er die am weitesten nach Osten vorgeschobene Insel Asiens
erreicht habe und nicht mehr weit von Indien entfernt sei. Deshalb
nannte er in seinen Berichten fortwährend die Eingeborenen Indianer,
welcher Name später auf alle Ureinwohner der neuen Welt überging.
Keiner dachte damals daran, daß Columbus einen unbekannten Erdtheil
aufgefunden habe. Columbus Ruhm aber ist für alle Zeiten gesichert. Mit
seiner Fahrt ist die Kultur des Menschengeschlechts weiter nach Westen ge¬
rückt und wird ihre Rundreise über den Großen Ozean antreten.
88. Luthers Leben bis zu seiner Berufung nach Wittenberg.
Von Philipp Konrad Marheinecke. Geschichte der Deutschen Reformation.
Berlin, 1816.
Doctor Martin Luther wurde am 10. November 1483 zu Eisleben
geboren. Sein Vater, Hans Luther, ein Bergmann, hat den Ruhm eines
ehrbaren, verständigen Mannes gehabt, wie er denn auch in den Rath¬
stuhl zu Mansfeld gezogen worden, in welcher Stadt er sich mit seiner
Familie niedergelassen. „Ich bin eines Bauern Sohn," sagte Martin Luther
nachher, „mein Vater, Großvater und Ahnherrn sind rechte Bauern gewest."
Seine Mutter, Margaretha, geborne Lindemann, war als eine tugendsame
und gottesfürchtige Frau bekannt und hat deshalb auch nicht geringen An¬
theil an der frommen Erziehung ihres Sohnes genommen. Im vierzehnten
Jahre seines Lebens ward er in eine ansehnliche Schule nach Magdeburg
geschickt. Daselbst mußte er sich sein Brot mit Beten und Singen vor den
Thüren erwerben und stch gar kümmerlich behelfen; im folgenden Jahre
wurde er in die Schule zu Eisenach gethan, wo es ihm eben auch nicht
Hopf u. Paulfiek, Deutsches Lejeb. I. r. 10