VORWORT.
Als mir vor nunmehr länger als drei Jahren von
der Verlagshandlung der Vorschlag zur Bearbeitung
dieses Atlasses zur mittleren und neueren Geschichte
gemacht wurde, zögerte ich keinen Augenblick, auf das
ehrenvolle Anerbieten einzugehen. Erfüllte sich doch
auf diese Weise ein von mir lange gehegter Wunsch,
für das Studium der wichtigsten Zeit-Abschnitte des
Mittelalters und der Neuzeit Karten zu entwerfen, die,
ähnlich denjenigen des weitverbreiteten Kiepert-
schen Atlas Antiquus, nicht nur dem Unterrichte in
den obersten Klassen der höheren Unterrichtsanstalten
zu Grunde gelegt werden könnten, sondern deren
sich auch der gebildete Laie, ja der Gelehrte von
Fach, mit Nutzen bedienen dürfte. Der Plan der
Verlagshandlung, das zukünftige Werk als eine Fort¬
setzung zu Kiepert's Atlas Antiquus nach Inhalt
und Form zu veröffentlichen, kam meinen eigenen
Wünschen und Anschauungen entgegen und somit
war der Zweck und zum Theil auch die Art und
Weise der Durchführung des Werkes vorgezeichnet.
Als Termin für die Vollendung des Werkes war
der Herbst des vergangenen Jahres vorgesehen; ich
glaubte um so eher bis zu diesem Zeitpunkte die
Aufgabe bewältigen zu können, als mir betreffs der
territorialen Besitzverhältnisse innerhalb Deutschlands
vor der französischen Revolution die Ergebnisse aus¬
gedehnter Studien zu Gebote standen; nichtsdesto¬
weniger hatte ich mich in meiner Berechnung ge¬
täuscht. Denn wenn auch die Karten, welche die
Besitzverhältnisse der neueren Zeiten zur Darstellung
bringen, verhältnissmässig rasch vollendet wurden, so
waren doch zur Herstellung derjenigen der früheren
Perioden so ausgedehnte und zeitraubende neue Stu¬
dien erforderlich, dass ich erst jetzt, nach mehr als
drei Jahren, der, ich darf es wohl sagen, angestreng¬
testen Thätigkeit das Werk in den vorgeschriebenen
Grenzen zu Ende zu führen vermochte.
Die Schwierigkeit, die stetig fortschreitende ge¬
schichtliche Entwickelung ganzer Staaten und Völker
kartographisch zu fixieren, wird sich bei keinem ge¬
schichtlichen Atlas ganz überwinden lassen. Das
todte Bild vermag zur Anschauung zu bringen, was
innerhalb irgend einer Zeitperiode geworden, nicht
was wird. Es ist die Aufgabe des lebendigen Wor¬
tes hier erklärend beizuspringen und das auf dem
Papiere entworfene kartographische Bild zu lebens¬
vollem Effect zu gestalten: das lebendige Wort, sei
es des Vortragenden, sei es, wie es uns aus den
Werken unserer Geschichtschreiber entgegentönt.
Es ist daher bei dem Atlas auch möglichst ver¬
mieden worden, durch einzelne kartographische Bil¬
der ganze Zeitabschnitte zur Darstellung zu bringen,
ein Verfahren, welches zu noch grösserer innerer
Unwahrheit führen müsste, wie sie uns beispiels¬
weise bei Kaulbach's sonst mit Recht so berühmtem
Zeitalter der Reformation entgegentritt; denn hier
wird ein ganzes Zeitalter, indem der Künstler die
zeitlich sich fremd einander gegenüberstehenden
grossen Persönlichkeiten nebeneinander hinstellt,
in seinen Wirkungen und treibenden Elementen
idealisiert und wenigstens auf diese Weise das Prin-
cip der höheren Einheit festgehalten, historische
Karten dagegen können nur als der bildliche Aus¬
druck nackter Wirklichkeit hingestellt werden. Was
innerhalb eines Zeitabschnittes, also zeitlich auf¬
einander folgt, kann eben nicht auf einem und dem¬
selben Blatte räumlich nebeneinander zur Dar¬
stellung gelangen. Von demselben Gesichtspunkte
gieng schon Kruse bei der Bearbeitung seines „At¬
las zur Uebersicht der Geschichte aller europäischen
Länder und Staaten" aus, und er hat meiner An¬
sicht nach entschieden den richtigen Weg einge¬
schlagen. Freilich wäre bei diesem Verfahren genau
genommen eine unendliche Reihe von Karten nöthig,
um alle Phasen der geschichtlichen Entwickelung zu "
veranschaulichen; aber indem hier im Gegensatz zu
Kruse, der einfach die Schlussjahre der Jahrhunderte
für seine kartographischen Darstellungen, ohne Rück¬
sicht auf ihre grössere oder geringere Wichtigkeit
eben für das Darzustellende, herausgriff, diejenigen
Jahre für die bildliche Veranschaulichung des je¬
weilig Gewordenen ausgewählt worden sind, die
gleichsam als Markjahre, als zeitliche Wendepunkte
aus der Reihe der Jahrzehnde und Jahrhunderte her¬
vorragen und von denen aus man gewissermassen
wie von einem erhöhten Punkte in die entschwun¬
dene Zeit zurückzublicken vermag, so dass einem
das Werden und Wachsen der Staaten oder ihr
Dahinsiechen und Verschwinden an der Hand des
für das bestimmte Endjahr fixierten Bildes klarer
vor der Seele steht, hoffe ich es doch erreicht zu
haben, dass man in und mit diesen neunzehn Karten
einen hinlänglich klaren Einblick in den Gang der
äusseren Entwickelung der europäischen Staaten und
besonders unseres Vaterlandes erhält. Denn dass
auf Deutschland, was die Anzahl der Karten und
die Grösse des Maassstabes derselben anbetrifft, am
meisten Rücksicht genommen worden ist, nächstdem
aber auf Mitteleuropa, d. h. auf diejenigen Länder
ausser Deutschland, welche mit unserem Vaterlande
in stetigere Berührung gekommen sind, das bedarf
wohl im Hinblick auf die oben entwickelten Zwecke
des Atlasses keiner Rechtfertigung.
Die grosse Anzahl der benutzten Quellen und
Hilfsmittel aufzuzählen würde zu weit führen, ich
sehe deswegen davon ab; ich bemerke jedoch, dass
die Blätter No. 3 „Mittel-Europa im Jahre 1000" und
No. 7 „Mittel-Europa nach seiner kirchlichen Ein-
theilung um die Mitte des XV. Jahrhunderts" auf
Grund der vorzüglichen dahin einschlagenden Ar¬
beiten Böttger's und Menke's bearbeitet worden sind,
selbstverständlich mit den nöthigen durch die dar¬
gestellten Zeitpunkte bedingten Veränderungen. Letz¬
terem bin ich auch in Bezug auf die Darstellung