A. Zur Allgemeinen Erdkunde.
1. Die Stellung der Erde im Weltall.
Von Z. Scheiner („Der Bau des Weltalls", 3. Aufl., Leipzig 1909,
B. G. Teubner).
In jedem Menschen steckt ein eigentümlicher Gegensatz: Neben der Liebe und
Anhänglichkeit zur engeren Heimat lebt der Drang nach außen, der Wunsch, andere
Gegenden und Menschen kennen zu lernen, bei dem einen mehr, bei dem anderen
weniger. Den einen saßt dieser Drang so stark, daß er seine Familie und geordnete
Verhältnisse verläßt, um in der Ferne nach unbekannten Zielen zu streben, der andere
vermag ihn so zu unterdrücken, daß er jahrelang kaum aus seiner Schreibstube heraus-
kommt. Es sind meist die äußeren Lebensverhältnisse, welche in dieser Beziehung
das Mehr oder das Weniger bestimmen, und während es in gewissen Gesellschasts-
klassen zum guten Ton gehört, mindestens einmal die Erde umfahren zu haben, müssen
die meisten sich damit begnügen, nur an Sonn- und Feiertagen aus der engen Stadt
in die nächste Umgebung zu eilen. Und wenn vielleicht auch die Verpflegung dort
schlechter und teurer ist als zu Hause, das nimmt jeder gern mit in den Kauf, wenn
er nur seinen Drang nach außen befriedigen kann.
Nur die wenigsten Menschen können wirklich reisen und aus eigener Anschauung
größere Teile unseres Wohnsitzes, der Erdoberfläche, kennen lernen. Da muß die
fremde Anschauung aushelfen, und einem einigermaßen phantasiebegabten Gemüte
fällt es nicht schwer, sich mit Emin Pascha in das innerste Afrika oder mit Nansen in
die eisstarrenden Einöden des Nordens zn versetzen und in gedrängter Folge alles mit-
zuerleben. Und wo die Phantasie nicht ausreicht, da tritt in neuerer Zeit die Photo-
graphie als mächtiges Hilfsmittel hinzu und bringt nicht bloß fremde Gegenden und
Menschen zur exakten Anschauung, sondern läßt unter Umständen sich wichtige und
interessante Beweguugsvorgänge in aller Treue abspielen. Karten und Sitnations-
Pläne helfen mit, und es ist heute jedem einzelnen möglich, unsere Erdoberfläche auf
das genaueste kennen zu lernen.
Die Sehnsucht nach der Ferne begnügt sich aber nicht immer mit dem Verweilen
auf der Erdoberfläche. Mancher möchte sehen, wie es im Innern der Erde aussieht,
und wer hat nicht schon einmal Stunden erlebt, in denen er auf einen blinkenden
Stern hätte enteilen mögen, um von dort mit Verachtung auf das kleinliche Getriebe
der Menschen herabzuschauen. Derartige Wünsche sind aber nur im allerbescheidensten
Maße zu erfüllen. Tiefer als einige tausend Meter ist noch nie ein Mensch in das
Innere der Erde eingedrungen, und das ist nur ein verschwindender Teil der Entfernung
von der Oberfläche bis zum Mittelpunkt, und diejenigen, die ihre Tätigkeit dort hin-
führt, sind eher zu bemitleiden als zu beneiden. Nicht viel besser sieht es mit dem Er-
heben über die Oberfläche aus. Die äußerste, bei BallonfMten erreichte Höhe beträgt
.etwa 9 Km, und die in solchen Höhen durch die Luftverdünnung hervorgebrachten
Beschwerden sind so heftig, daß auch hier von einem Genüsse keine Rede mehr sein
kann. Diese 9 km sind aber geradezu ein Nichts gegenüber der Entfernung auch nur
des nächsten Himmelskörpers, des Mondes.