Full text: Erdkundliches Lesebuch für die Oberstufe höherer Lehranstalten und Seminare

Einleitung. 
Die Berliner Universität hat vor kurzem ihr hundertjähriges Jubiläum gefeiert. 
Ein Markstein in der Entwicklung unseres größten Wissensinstituts war erreicht, — 
da richtete sich der Blick des gebildeten Deutschen rückwärts iu die Vergangenheit, 
und Chroniken verkündeten der heutigen Generation, welch eine Reihe großer und 
würdiger Vertreter der Wissenschast während eines Jahrhunderts die Lehrstühle der 
Universität innegehabt, die Jugend begeistert, das Wissen gefördert hat. Da ist 
es von besonderem Interesse zu hören, daß die Berliner Universität die erste 
unter den deutschen Hochschulen war, die — bereits im Gründungsjahr — der 
geographischen Wissenschast eine bleibende Stätte bot: der erste akademische 
Lehrstuhl für Geographie wurde begründet. Das ist um so bemerkenswerter, als 
damals eine wissenschaftliche Geographie in nnserm Sinne noch gar nicht vor- 
Händen war. Wohl wurde bereits Erdkunde getrieben, und zwar in der be- 
kannten Dreiteilung: mathematische, politische und physische Geographie; die 
drei Disziplinen bestanden aber streng gesondert nebeneinander. Für sich allein 
konnte sich keine von ihnen einen einflußreichen Platz unter den Wissenschaften 
erwerben. Darum lehnte sich die mathematische Geographie an die Astronomie 
an, die politische Geographie wurde eine Dienerin der Geschichte, und die phy- 
sische Erdkunde führte ein bloßes Scheindasein; den Naturwissenschaften stand sie 
zunächst ziemlich fremd gegenüber, obwohl diese insolge der Entdeckungen eines 
Newton, der Forschungen eines Linne ihr längst schon die Hand entgegengestreckt 
hatte zu gemeiusamem Vorwärtsschreiten. Der erste, der eine Annäherung an die 
Naturwissenschaften herbeiführte, war Alexander v. Humboldt. Ausgehend von 
seinen Studien über die Verbreitung der Pslauzeu, erkannte Humboldt die absolute 
Abhängigkeit der Pflanze vom heimatlichen Standort und kam durch gründliche 
Untersuchung und durch Vergleich zur Idee der Einheit des belebten Erd- 
ganzen. Er verlieh damit dem toten Formelwesen der Geographie den ersten 
Funken von Leben und regte die Geister an, die großen Richtlinien dieser neuen Ge- 
danken nun zu verfolgen und auszufüllen. Zu demselben Resultat kam auf anderem 
Wege Humboldts Zeitgenosse, der eigentliche Schöpser der modernen Erdkunde, Karl 
Ritter. Er ging vom Studium des Menscheu aus, untersuchte seine Beziehung 
zum Boden, und fand durch Vergleich auch hier allerorts eine ursächliche Verknüpfung 
von Land und Leuten, eine Abhängigkeit des Menschen von der Scholle in solchem 
Grade, daß er die Erde als das Erziehungshaus des Menschen bezeichnete. Daß 
diese Ideen zu einem stattlichen Gebäude emporwuchsen, dafür sorgte der dritte 
große Klassiker der Erdkunde im 19. Jahrhundert, Oskar Peschel. Seitdem hat 
die Erdkunde als selbständige Wissenschaft an unseren Universitäten festen Fuß gefaßt 
und gewinnt mehr und mehr an Bedeutung.
	        
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