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das ihr in langen, langen Jahren keine einzige Freude, keine einzige Er¬
holung, nur Noch und Gefahr verspricht.
In einem aus rauhen und unbehauenen Baumstämmen aufgeführten
Verschlage, nur von drei Seiten gegen Wind und Regen geschützt, verlebt
die Frau nicht Tage und Wochen, nein. Monate, nicht selten Jahre auf
eine Art, die den gesündesten Körper eines Europäers zerrütten müßte.
Die nasse, kalte Erde ist ihr Fußboden, der weite einsame Wald ihr Auf¬
enthalt. Kein Nachbar besucht sie; der nächste lebt vielleicht eine halbe
Tagereise entfernt: kein Arzt kann ihr mit Rath und Thal beistehen, wenn
Krankheit sie auf's Lager wirft; in jener wilden, unbebauten Gegend hat
keiner von diesen seine kleine Apotheke aufgeschlagen. Die Lebensmittel
sind aufgezehrt, Mais ist noch nicht angebaut, und der Farmer nimmt die
Büchse auf die Schulter, um ein Stück Wild zu schießen und damit den
Hunger der Seinigen zu stillen. Lagert er aber auch mitten im Walde,
sieht er selbst die Fährte des scheuen Bären Morgens kaum hundert
Schritte weit von seinem Wachtfeuer, so scheint doch die ganze Wildniß
wie ausgestorben, kein Wild zeigt sich in Schußnähe, und Tage lang folgt
er dem flüchtigen Hirsch durch Sumpf und Thal, über Berge und Flüsse.
Einsam und unbeschützt liegt indessen das arme Weib auf dem harten
Lager und horcht die lange Nacht hindurch dem wehmüthigen Geheul der
Wölfe und dem gellenden Schrei und kläglichen Winseln einzelner Panther,
welche Beute witternd die Hütte umschleichen, aber zu furchtsam sind, sich
dem Lagerplatz menschlicher Wesen zu nahen. Doch ebenso wie der Mann,
wenn er stets von Andern geleitet wird, nie zur Selbstständigkeit gelangt,
so erwartet die Natur des schwachen Weibes nur die Gelegenheit, ihre
schlummernden Seelenkräste zu wecken und da thätig und handelnd auszu¬
treten, wo sie bisher einzig und allein auf den Schutz und die Kraft eines
Anderen, Stärkeren gebaut hatte. Furchtlos sorgt die Mutter jetzt für die
sie ängstlich umdrängenden Kleinen, tröstet, selber des Trostes bedürftig,
die Zaghaften und trifft mit männlichem Muthe alle Anstalten zur Ver-
theidigung, wenn die näher und näher kommenden Raubthiere wirklich
einen Angriff wagen sollten. Die Büchse hat der Mann mitgenommen,
aber die Axt lehnt in der Ecke und wird an die Thür gestellt, ein tüchtiges
Feuer im Kamin unterhalten, und jubelnd begrüßt sie endlich den na¬
henden Morgen, vor dessen freundlichem Lichte die Thiere der Nacht scheu
entweichen.
Mit ihm kehrt auch der Gatte, reich mit Beute beladen, zurück; rüstig
beginnt er die ländlichen Arbeiten, die riesigen Stämme fallen unter den
kräftigen und geschickten Hieben der Axt, und jeder Tag macht die stille
Waldesheimath sicherer, wohnlicher, menschlicher.
Indessen besorgt die Frau ihre täglichen Geschäfte und Arbeiten. Am
frühen Morgen bereitet sie vor Allem das Frühstück; grobes Maismehl wird
in einer hölzernen Schüssel mit Wasser und Salz angerührt, so daß es einen
festen Teig bildet, und dann auf einem eisernen Deckel flach geschlagen und
Grube, Geogr. Charakterbilder. I. 14. Aufl. 41