fullscreen: Drittes Schulbuch, Lehr- und Lesebuch für die Oberclassen der Volksschule

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sechs Stunden lang sinkt: so konnten wir noch nicht in den Hafen ein¬ 
laufen. Wir warteten deshalb auf die Fluth, bei welcher das Wasser 
sechs Stunden lang steigt. Von dieser wurde das Schiff über den seichten 
Meeresboden leicht hinweg an die Küste getragen. Ich trat an's Land 
voll heißen Dankes für meine Rettung und voll Ehrfurcht vor Gottes ge¬ 
waltigem Arme. — 
So furchtbar aber oft die Bewegungen des Meeres auftreten: so 
wohlthätig wirken dieselben doch dadurch,, daß sie dasselbe vor Fäulniß be¬ 
wahren, welche viele schädliche Dünste verbreiten und das Leben aller Ge¬ 
schöpfe zerstören würde. Überdies wird die Fäulniß auch dadurch verhütet, 
daß das Bteer, vorzüglich in den heißen Erdgegenden, viele salzige Theile 
enthält. Dieses Meersalz machen sich die Bewohner der Küstenländer da¬ 
durch zu Nutze, daß sie das Meerwafser in flache Gruben leiten und in 
denselben verdunsten lassen; das zurückbleibende Salz dient ihnen darin 
als Gewürz. Auch hier muß man staunen über die unergründliche Weis¬ 
heit des Herrn, der alle seine Geschöpfe auf wunderbare Weise erhält und 
die Güte preisen, mit welcher er für alle seine Werke sorgt. 
Cbbe und Fluth. 
Eine großartige Erscheinung ist Ebbe und Fluth. Um sie kennen zu 
lernen, wollen wir uns in Gedanken an die Küste eines großen und freien 
Meeres versetzen, z. B. an die Nordsee bei der Insel Norderney. Den 
Blick zum Meere gewendet, sehen wir große Uferstellen vollkommen trocken 
vor uns liegen. Unser Auge dringt auf flachem Sande weit vor. In der 
Ferne erblicken wir 12—15 Fuß hohe Pfähle. Wem gehören sie an? Ein 
dunkles Gefühl sagt uns: dem Meere. Sie haben sich seiner Herrschaft 
nicht auf immer, sondern nur augenblicklich entzogen; — denn wir hören 
schon in der Ferne das drohende Brausen der Wellen, gleichsam als eilten 
sie, sich wieder in den Besitz ihres Eigenthums zu setzen. Wie von einer 
magischen Gewalt getrieben, dringt das Meer in der Richtung von morgen- 
wärts heran. Woge häuft sich auf Woge, Welle drängt sich auf Welle; die 
hohen Pfühle werden von ihnen begraben, die flachen Ufer bedeckt. Diese 
Erhebung des Wassers nennt man Fluth. Mit scheuem Blicke weicht der 
Mensch von dein gewaltigen Elemente zurück, er sucht eine höher gelegene 
Stelle zu erreichen, die ihm Sicherheit gewährt. Jetzt hat das Meer seinen 
höchsten Stand erreicht; es wächst nicht mehr, die Fluth ist zu Ende. Pie 
ganze ungeheuere Wassermasse scheint sich auf dieser Höhe stillstehend er¬ 
halten zu wollen. Aber dieser Zustand einer vermeinten Ruhe ist nur 
von kurzer Dauer. Kaum hat sich das Wasser auf dieser Höhe eine Viertel¬ 
stunde erhalten: so zieht sich das Meer sinkend auf den flachen Uferstellen 
zurück. Auch die Pfähle fangen nun an, ihr Haupt wieder hervor zu 
strecken, Stellen, über welche eben noch Schiffe mit vollen Segeln dcchin 
fuhren, trocken zu werden, — dies Alles bemerkt man ganz deutlich. Der 
Rückzug der Wellen erfolgt abendwärts, also derjenigen Richtung gerade
	        
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