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Soziale Zustände. Das Lehnswesen. Das Rittertum.
führten, empfingen als Abzeichen eine Fahne, unb ihr Amt hieß ba-
hcr Fahnenlehen; bic geistlichen Würbenträger würben früher mit
Ring unb Stab, als ben Zeichen ihrer geistlichen Würbe, später, feit
bem Wormser Konkorbat (1122), mit Szepter unb Schwert (wegen
ber weltlichen Herrschaft über ihr Amtsgebiet) belehnt.
Durch bic Belehnung trat ber Belehnte in jene bevorzugte Ge¬
sellschaftsklasse ein, welche, vom König als ihrer Spitze anhebenb,
sich, einer Pyramibe gleich, nach unten verbreiterte, ber Lchns-
ariftofratie. Erst unterhalb biefer Lehnsariftokratie stehen bie
einfachen Freien, bie ein freies (nicht lehnbares) Eigentum haben,
viel tiefer bic Halb- unb Unfreien. Die ganze Nation zerfällt in
eine herrfcheitbe unb eine bienenbe Klaffe, zwischen welchen beiben
gleichsam in ber Mitte bie einfachen Freien stehen.
Da bas ganze Staatswefcu bes Mittelalters wesentlich auf
kriegerischer Thätigkeit beruhte, so teilte man auch bie verfchiebenen
Gesellschaftsklassen vorzugsweise nach bem Range ab, ben jebe ber-
selben innerhalb biefes Militärorganismus einnahm, nach sog. „Heer-
fchilben". Die obersten Heerschilbe gehören ausschließlich bcr hohen
Lehnsaristokratie; in bic untern teilen sich bie nieberen Klaffen biefer
mit bcn kleineren freien Grunb beschern. In bcn beiben im 13. Jahr-
hunbert entftanbenen Rechtsbüchern, bem „Sachsenspiegel" unb bem
,,©chwabenfpicgcVy,*) wirb barüb er gesagt:**)
„Den ersten Heerfchitb führt ber König; bcn zweiten bie geist¬
lichen Fürsten, Erzbischöfe, Bifchöjc, Fürftäbtc; bcn britten bic welt¬
lichen Fürsten, Herzöge, Markgrafen, Lanbgrafeu; ben vierten bie
Lehnsleute ber Herzöge, bie Grafen unb bie ihnen (ohne ein wirk¬
liches Grafenamt) rechtlich gleichgestellten sog. Freiherren ober Banner-
herren , (wahrscheinlich solche, bie im Kriege ein Banner führten, nicht
aber gleich bcn Grafen auch Richter im Gau waren); ben fünften bie
Lehnsleute ber vorigen, bie jog. „Gemein-, Semper- ober Schöffen-
barfreien, aus benen bie Schöffen' genommen werben, (wohl bie
größeren freien Grunbbefitzer); bcn sechsten bic einfachen Ministerialen,
welche Ritter finb; von bem siebenten sagt bte Glosse zum „Sachsen¬
spiegel:" „man wisse nicht recht, wer bazu gehöre" (man rechnete
*) Der „Sachsenspiegel" ist eine Zusammenstellung vorzugsweise des in Nord¬
deutschland geltenden Rechts, angeblich von einem Schossen Eicke von Repgow um
1230 verfaßt, dn° „Schwabenspiegel" eine Erweiterung des „Sachsenspiegels" durch
Hinzufügung süddeutscher Rechtsbräuche, von einem unbekannten Verfasser, nach
1273 entstanden.
**) „Sachsenspiegel" I. 3, 81, ?. „Schwabenspiegel", II. 142.