Contents: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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5. Blau-Beilchen. 
Ein kleines Blau-Veilchen 
stand eben erst ein Weilchen 
unten im Tal am Bach. 
Da dacht' es einmal nach 
und sprach: 
„Daß ich hier unten blüh', 
lohnt sich kaum der Müh, 
muß mich überall bücken 
und drücken, 
bin so ins Niedre gestellt, 
sehe gar nichts von der Welt. 
Drum wär' es ganz gescheit getan, 
ich stieg' ein bißchen höher hinan." — 
Aus dem Wiesenland 
mit eigner Hand 
zieht es ein Beinchen nach dem andern 
und begibt sich aufs Wandern. 
„Drüben der Hügel wär' mir schon 
recht; 
wenn ich den erreichen möcht', 
könnt' ich ein Stückchen weiter sehn; 
dahin will ich gehn." 
Und so im behenden Lauf 
steigt das Veilchen den Hügel hinauf, 
pflanzt sich dort oben ein 
im schönsten Sonnenschein. 
Kaum aber hat es hier einen Tag ge¬ 
standen, 
meint es: „Von allen Landen 
sieht man hier oben kein großes Stück, 
man hat keinen freien Blick; 
aber auf jenem Berge dort, 
das wär' ein Ort, 
wo ich wohl möchte stehn, 
um in die weite Welt zu sehn; 
drum wär' es noch gescheiter getan, 
ich stieg' ein bißchen höher hinan!" 
Und wie gesagt, so getan. 
Aus dem Hügel, wo es stand, 
zieht es mit eigner Hand 
ein Beinchen nach dem andern 
und begibt sich aufs Wandern. 
Doch den Berg hinauf 
geht es nicht in so raschem Lauf, 
es muß sich verpusten, muß öfter 
ruhn. 
Endlich mit niedergetretenen Schuh'n, 
auf beschwerlicher Bahn, 
kommt's Veilchen oben an, 
pflanzt sich dort wieder ein 
im Hellen Sonnenschein. 
„Ei," spricht es, „hier ist's schön; 
aber alles kann man doch nicht sehn; 
so ein Berg 
ist doch nur ein Zwerg. 
Auf der Alp da droben, 
das wär' eher zu loben, 
da möcht' ich wohl sein! 
Da guckt' ich bis in den Himmel hinein, 
hörte die Englein musizieren, 
säh' unsern Herrgott die Welt re¬ 
gieren!" 
Und aus dem Berge, wo es stand, 
zieht es wieder mit eigner Hand 
ein Beinchen nach dem andem, 
begibt sich noch einmal aufs Wandern. 
Die Reise macht diesmal viel Be¬ 
schwer, 
kein Weg, kein Steg war ringsumher, 
dem Veilchen flimmert's vor dem Blick, 
es schwindelt, es kann nicht wieder 
zurück; 
da setzt es die ganze Kraft noch daran, 
zum Tode ermattet kommt's oben an. 
Ach! da war der Boden von Stein, 
kann mit den Füßchen nicht hinein. 
Der Wind, der bläst so hart, 
das Veilchen vor Frost erstarrt. 
Es zappelt mit allen Würzlein, 
bedeckt sie mit dem grünen Schürzlein, 
friert sehr an Händen und an Beinen. 
Da fängt's bitterlich an zu weinen. 
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