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14. Die Krummbeinigen von Solingen.
Es war einmal eine Zeit, da gab es in Solingen viele Leute
mit krummen Beinen. Das ging so zu:
In der Nähe von Solingen lag an der Wupper ein Schleif-
kotten. Die Schleifersfamilie, die hier wohnte, war sehr arm.
Doch arbeiteten Mann und Frau fleißig vom frühen Morgen
bis zum späten Abend. Bei aller Armut und aller Arbeit waren
sie fröhlich und guter Dinge. Ihr Frohsinn schien sich der ganzen
Umgebung mitzuteilen. Der Schleifer schärfte bei lustigen
Liedern ein Messer nach dem andern. Die Mutter wirtschaftete
unter heiterem Geplauder mit den ältesten Kindern in der Küche
und im Gärtchen. Die Kleinsten sprangen mit Ziegenböckchen
und Hündchen auf der Wupperwiese um die Wette. Die Wupper
drehte kräftig die Schleifsteine und schleuderte dabei ihre Wasser-
tropfen hoch in die Luft. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich in
den sprühenden Tropfen. Die Vöglein sangen in den Zweigen.
Man wußte nicht, wer von allen am lustigsten war.
Sonntags ruhten die fleißigen Leute von ihrer Arbeit aus.
War ein besonderer Festtag, dann kochte die Mutter für die ganze
Familie Reisbrei. Allmählich aber wurde der Topf, in dem die
Frau den Brei kochte, für die vielen Kinder zu klein. Ein?n
neuen, größeren aber konnte der Vater nicht kaufen. Dazu hatte
er kein Geld.
Nun wohnten in dem gegenüberliegenden Berge die Heinzel-
Männchen. Diese hatten die fleißigen, fröhlichen Schleifersleute
schon lange beobachtet und sich über ihren Frohsinn gefreut; sie
kannten aber auch die Not der armen Leute. Die Heinzelmännchen
besaßen viele Töpfe, große und kleine. — Eines Tages geriet ein
Töchterchen des Schleifers beim Spiele an die Höhle der Heinzel-
Männchen. Da stand plötzlich eines der Männlein vor dem
Kinde, zeigte auf einen großen Kochtopf und sagte mit seinem
feinen Stimmchen: „Da, Kleine, trage diesen Topf flink zu deiner
Mutter, daß sie euch morgen zum heiligen Ostertag einen Reis-
brei kochen kann. Wenn ihr ihn genug gebraucht habt, bringe
ihn wieder." Erschreckt und erfreut lief das Mädchen mit deni
Kochtopf davon. Sie erzählte zu Hause, was sie erlebt
hatte. Der Reisbrei aus dem Topf der Heinzelmännchen
aber schmeckte noch einmal so gut. Einen Rest der Speise ließ
man aus Dankbarkeit für die Heinzelmännchen zurück. Fortan.
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