Full text: M. J. E. Fabri's, Professors der Philosophie in Jena, Elementargeographie, Dritter Band (Theil 9, Band 2)

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174. 
Das Gottesgericht in Rußland. 
Im Frühling des Jahres 1812 zog Napoleon mit einer 
ungeheuren Heeresmacht, wie sie Europa noch nicht gesehen hatte, 
gegen Rußlands Grenze, um auch den einzigen Gegner, der ihm 
auf dem Festlande noch gewachsen en zu demütigen. Der 
Zug glich einer Völkerwanderun;; denn fast alle europäischen 
Völker hatten dem Gewaltigen Hilfstruppen stellen müssen. Am 
25. Juni überschritt das Heer den Niemen, und die Haupt— 
macht rückte geradeswegs auf Moskau los. Die Russen zogen 
sich kämpfend in das Innere des Reiches zurück, die Franzosen 
folgten durch verwüstete, öde Gegenden, und nach den blutigen 
Schlachten bei smolensk und an der Moskwa lag der Weg zu 
der alten Hauptstadt frei vor ihnen. Am 14. September erblickten 
sie von der Höhe eines Berges die ehrwürdige Stadt. Aus der 
uingeheuren Häusermasse ragten die Türme von 300 Kirchen mit 
ihren zum Teil vergoldeten Kuppeln hervor, während aus der 
Mitte der Stadt majestätisch der Kreml, die Burg der Zaren, 
emporstieg. „Da ist denn endlich die berühmte Stadt!“ rief 
Napoleon voll Entzücken, und der Freudenruf ,Moskau! Moskau!“ 
durchlief die Reihen. Am 15. September langte das Heer vor 
den Thoren an; sie standen offen. Erstaunt harrte Napoleon 
mit seinen Marschällen, ob nicht die Behörde zu einem feierlichen 
Empfange, ob nicht eine schaulustige Volksmenge herauskommen 
werde; niemand erschien. Eine unheimliche Grabesstille lag über 
der Stadt. 
Der Sieger zog ein; die Straßen waren öde, alle Thüren 
verrammt, alle Fensler und Läden dicht geschlossen, alle Gewölbe 
und Buden gesperrt und verriegelt. Die Stadt war von der 
Bevölkerung fast ganz verlassen, denn die Russen hatten den 
ungeheuren Plan gefaßt, um Napoleon zu verderben, die ganze 
Zareustadt mit all ihren Reichtümern und Kostbarkeiten aufzu— 
opfern. Eine große Anzahl Verbrecher war aus den Gefängnissen 
entlassen und beauftragt worden, durch Brandfackeln, Pechkränze 
und Granaten die Stadt den Flammen zu überliefern, und der 
rr Auftrag wurde getreulichst vollzogen. Schon in der 
olgenden Nacht sliegen an mehreren Stellen der Stadt lichte 
Flammen auf. Anfaͤngs achteten die Franzosen dieses Brandes 
wenig; manche schürten noch die Glut in Mutwillen. 
Am 18. September aber erhob sich ein wütender Sturm, und 
an hundert Stellen schlug die Flamme prasselnd himmelan, so 
daß innerhalb weniger Stunden ganz Moskau einem unabsehbaren, 
wogenden Feuermeere glich. na war das Getöse und 
Gedränge der Menschen und Tiere, das Wutgeschrei der Sieger,
	        
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